„Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar.”

- Ingeborg Bachmann

Die „Untersuchungskommission zur Aufklärung wissenschaftlichen Fehlverhaltens“ der Universität Bonn (im Folgenden „die Kommission“ genannt) wirft Ulrike Guérot vor, in ihren drei Essays Wer schweigt, stimmt zu (2022), Warum Europa eine Republik werden muss. Eine politische Utopie (2016), Der neue Bürgerkrieg und seine Feinde (2017) plagiiert zu haben. Dieser Plagiatsvorwurf führte im Februar 2023 zur Kündigung ihrer Stelle als Professorin durch die Universität Bonn. Wir haben diese Vorwürfe auf der Grundlage des uns vorliegenden Kommissionsberichts überprüft.

Zusammenfassende Stellungnahme

1. Eingangs ist klarzustellen, dass es sich bei den drei in Rede stehenden Werken ausnahmslos um Essays handelt. Sie sind in den jeweiligen Vorworten auch explizit als solche, resp. als Utopie, bezeichnet. Nach auch in der maßgebenden Wissenschaftsgemeinde allgemein konsentierten und durchgängig gelebten Grundsätzen unterliegen Essays hinsichtlich der dortigen Zitierweise anerkannt weniger strengen Kriterien als wissenschaftliche Publikationen im engeren, technischen Sinne. Essays sind damit wissenschaftliche Arbeiten eines eigenen Typs. Sie verzichten zugunsten einer gefälligeren Lesbarkeit für das von ihnen auch außerhalb der eigentlichen Fachgemeinde adressierte, größere Publikum auf detaillierte Quellenangaben und/oder einen umfangreichen wissenschaftlichen Apparat. Entdeckt der wissenschaftlich professionelle Verfasser eines Essays infolge der anschließenden Rezeption und Diskussion seiner Publikation weiteres auch fachspezifisches Interesse an seinem Sujet, gibt ihm dies Gelegenheit, sein Thema dann mitsamt strengen wissenschaftlichen Zitaten und anliegenden Apparaten vertiefend zu bearbeiten.

So steht beispielsweise in einem Merkblatt der Universität Flensburg zur Abfassung eines Essays:

„Formale Anforderungen:
Innerhalb eines Essays sind keine Quellenverweise im Text und kein wissenschaftliches Belegen notwendig. Wenn zitiert oder auf Gedanken anderer AutorInnen zurückgegriffen wird, sollte aber dennoch klar werden, wessen Überlegungen verwendet werden. Die Urheberschaft wird dabei einfach als Aussage im Text platziert (Bsp. „Wie bei Rucht nachzulesen…“, Bei diesem Argument von Rucht…“, „Dazu meint Rucht…“ ect.). Empfehlenswert ist es, Gedanken anderer AutorInnen in eigenen Worten wiederzugeben, da man argumentativ mit ihnen arbeiten will. Als Faustregel gilt: Eigener und fremder Text bzw. Gedanken müssen immer klar unterscheidbar sein.“
https://www.uni-flensburg.de/fileadmin/content/seminare/soziologie/dokumente/dokumente/merkblatt-essay.pdf

2. Der von der Kommission gegen Ulrike Guérot formulierte Vorwurf, „vorsätzlich plagiiert“ zu haben, wie er sich aus dem Begleitschreiben zum Kommissionsbericht (am Ende der hiesigen Website einkopiert) ergibt, ist auf der Basis unserer eingehenden eigenen Detailanalyse nicht zu rechtfertigen. Ein „Plagiat“ ist per Definition eine vorsätzliche und bewusste Aneignung fremden Gedankengutes.[1] Der Begriff erfordert daher zumindest zweierlei: Das Zueigenmachen fremder Gedanken und den bewusst betätigten (d.h. durch das Element des Verbergens erkennbar werdenden) Willen, genau dies tun zu wollen. Bei den von der Kommission beanstandeten Passagen hat die Autorin jedoch fast ausnahmslos entweder das betreffende (fremde) Buch selbst oder zumindest die in Bezug genommene Autorin/den Autor namentlich genannt. Auch aus der vielfach zusätzlichen Nennung von Seitenzahlen der in Bezug genommenen Werke wird für jeden unbefangenen Leser der Essays durchgängig deutlich: Fremde Gedanke werden nicht als eigene ausgegeben, sondern als die eines anderen gekennzeichnet. Weder lässt sich daher ein nur faktisches, in keinem Falle aber ein gewolltes Zueigenmachen fremder Ideen als eigener in Täuschungsabsicht feststellen. Wer sich geistiges Eigentum im Sinne eines „Plagiates“ aneignen will, der gibt mithin geradezu tatspezifisch keine Quellen an, da dies dem nötigen Täuschungselement des Plagiierens gerade entgegensteht. Folgerichtig kann auch nicht davon die Rede sein, dass die „wissenschaftliche Redlichkeit“ verletzt wurde, wie die Untersuchungskommission mit Verweis auf § 4 Abs. 4 des Hochschulgesetzes NRW unterstellt.

Auch wenn die Autorin daher tatsächlich an einzelnen Stellen unpräzise zitiert hat (siehe Kommentare unten im Detail), so begründet dies nach allem nicht den Vorwurf eines Plagiates. Erst recht kann ihr im Hinblick auf die spezifische Textform eines Essays nicht „wissenschaftliches Fehlverhalten“ (vgl. Begleitschreiben zum Kommissionsbericht am Ende der Website) oder gar eine Verletzung von wissenschaftlichen Standards vorgehalten werden. Ein nicht lotgerecht aufgeklebtes Preisschild ist ebenso wenig falsch wie ein in der Herstellung mit Schattenrand gedrucktes – solange nur Inhalt und Zuordnung unzweifelhaft erkennbar sind.

Der Kommissionsbericht leidet nach unserem Eindruck generell an dem Mangel, dass er oft dort, wo die Autorin paraphrasierend den Gedankengang anderer wiedergibt (was sie – mit Ausnahme von nur drei Stellen im gesamten Prüfkorpus aller drei Werke (!) – durchgängig offenlegt), sogar einzelne Worte oder Wortgruppen als „Plagiat“ markiert. Dieses Vorgehen ist insofern unverständlich, als es unvermeidlich in der Natur der Sache liegt, bei einer zusammenfassenden Paraphrasierung Kernbegriffe der Vorlage oder dort geläufige Wendungen immer auch selbst wiederzugeben. Oftmals handelt es sich bei den von der Kommission beanstandeten Stellen zudem um Aussagen, die in ihrer Allgemeinheit auch anderswo zu finden sind, weil sie einen unspezifisch anerkannten Umstand darstellen oder von einem solchen sprechen. Solche Stellen als Plagiate zu markieren, ist gleichermaßen fachlich verfehlt wie in der Wertung tendenziös.


[1] In der „Ordnung zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn heisst es dazu in § 4 Abs. 4: „die ungekennzeichnete Übernahme von Inhalten Dritter ohne die gebotene Quellenangabe (‚Plagiat‘)“.

Die beiden längsten Passagen, in denen der Kommissionsbericht ein Plagiat unterstellt, finden sich im Buch Warum Europa eine Republik werden muss und betreffen Auszüge aus Texten der beiden Autoren Albert von Lucke und Mathias Greffrath. Diese betreffenden Passagen hat die Autorin selber bemerkt und bereits 2016 und 2021, also lange bevor Vorwürfe gegen sie erhoben worden sind, öffentlich entschuldigt. Wer vorsätzlich plagiieren will, legt seine „Plagiate“ nicht selber offen. Die Gründe, die zu dieser unsorgfältigen Herausgabe führten, legt die Autorin in ihrer Antwort an die Untersuchungskommission vom 14. Januar 2023 dar. Sie können hier eingesehen werden:[2]

3. Generell und um die Relation zu wahren ist festzuhalten, dass es sich bei den von der Kommission bemängelten Textstellen zusammengenommen um rund neun Seiten handelt, bei einem Textkorpus von insgesamt 560 Seiten.

4. Die beanstandeten Werke Warum Europa eine Republik werden muss (2016) und Der neue Bürgerkrieg und seine Feinde (2017) lagen der Berufungskommission der Uni Bonn bei der Berufung von Frau Guérot auf den Lehrstuhl für Europapolitik vor. Die Berufungskommission hatte bei ihrer Berufung die beiden Werke offensichtlich für gut befunden. Ja, es war gerade die Fähigkeit der Autorin zur Popularisierung wissenschaftlicher Diskussionen, die zu ihrer Berufung führten. Dass ihr nun genau dies zur Last gelegt werden soll, ist unverständlich.

Trotz dieser grundsätzlichen Einwände haben wir alle Stellen im Detail untersucht und kommentiert, um sie in dieser Weise der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ob Grund genug für eine Medien-Kampagne und nachfolgende Kündigung einer Professur besteht, wollen wir zur Beurteilung dem geneigten Leser/der geneigten Leserin resp. der Öffentlichkeit überlassen.

Lydia Elmer, lic. phil. Historikerin, Zürich
Tove Soiland, Historikerin, Dr. phil., Zürich


[2] In ihrem Schreiben heisst es: „Dieses Buch ist unter etwas ungewöhnlichen Umständen zustande gekommen, die vielleicht erklären, warum es heute noch in der x-ten Auflage voller (Tipp-)Fehler ist. Geplant war ein EU-Europa-Buch für die DVA 2015. DVA aber wollte meine Republik- bzw. Utopie-Idee nicht annehmen. Erst nach meinem Auftritt auf der sehr bekannten Republika-Konferenz im Februar 2015 in Berlin, der ein großer Erfolg war, kam die Bundeszentrale für Politische Bildung (bpb) auf mich zu und überzeugte mich, aus der Rede ein Manuskript bzw. Buch zu machen. Auf meinen Einwand, so eine Utopie würde niemand drucken wollen, entgegnete die bpb, man würde für mich einen Verlag finden und diesem Verlag für die Veröffentlichung eine Garantieabnahme von 2.000 Stück geben. Dieser Verlag war schließlich der Dietz-Verlag in Bonn. De facto habe ich über diese Garantieabnahme der bpb dem Dietz-Verlag alle Rechte an dem Republik-Buch abgetreten und damit als Autorin verschiedene Prozesse (neue Auflagen, Taschenbuchausgabe, Rechte für Übersetzungen) nicht mehr in der Hand gehabt.
Die Manuskriptabgabe war zunächst für Ende Februar 2016 geplant. Da ich dann aber plötzlich auf das „Blaue Sofa“ der Buchmesse Leipzig im März 2016 eingeladen wurde und das Buch auf einmal noch rechtzeitig zur Buchmesse produziert werden sollte, musste ich – Hals über Kopf – das Manuskript schon Mitte Februar abgeben, also rund zwei Wochen früher als geplant. Herr Behrens vom Dietz-Verlag kann Ihnen die verfrühte Manuskript-Abgabe sicherlich bestätigen. Es gab keine Zeit mehr für eine – oder mehrere – ruhigere Durchsichten des Manuskriptes. Ich erinnere mich, dass ich recht panisch war und zu diesem Zeitpunkt noch einen Ausdruck des Manuskriptes mit vielen Spickzetteln und Post-it’s hatte, die Stellen markierten, an denen ich noch Korrekturen bzw. Änderungen anbringen wollte. Mir wurde zugesichert, dass für die Buchmesse nur ein „Dummy“ produziert werden würde und ich hinterher in Ruhe Korrekturen würde vornehmen können. Dem war aber nicht so. Das Buch ging direkt in den Druck, mitsamt zahlreicher Tipp- und sonstiger Fehler, die zu korrigieren ich nicht mehr die Gelegenheit hatte. Das Buch wurde mir damals quasi aus der Hand gerissen. Binnen kurzer Zeit gab es dann eine Taschenbuchausgabe bei Piper, eine preiswerte Schülerausausgabe der bpb, sowie mehrere Übersetzungen und eine elektronische Ausgabe. Es wurden sehr schnell rund 80.000 Exemplare verkauft. Auszüge des Buches waren Prüfungstexte im nordrheinwestfälischen Abitur. Nie hat irgendjemand Fehler moniert. Vor allem aber habe ich bei keinem dieser Prozesse – z.B. bei dem Nachdruck der Taschenbuchausgabe oder dem Sonderdruck für Schüler durch die bpb – das Manuskript noch einmal zur Fehlerkorrektur oder gar Überarbeitung bekommen. Die Frage ist nun, ob ich dafür alleine verantwortlich zeichne? Der Taschenbuchverlag Piper, die übersetzenden Verlage, die bpb: es hätte bei so vielen Beteiligten und Verantwortlichen mehrere Gelegenheiten gegeben, das Buch in eine grundsätzliche Überarbeitung zu geben. Aber das ist nie passiert und ich möchte die Kommission mithin bitten zu prüfen, ob dies allein meiner Verantwortung oblag, zumal ich zu diesem Zeitpunkt, wie oben erwähnt, eine noch unerfahrene Buchautorin war.
Mit Blick auf den Vorwurf des Plagiats, der die Mutwilligkeit der Unterschlagung geistigen Eigentums impliziert, möchte ich ferner folgendes anführen: Ich habe im April 2016, als mir die Zitierfehler mit Blick auf den Aufsatz von Albrecht von Lucke aufgefallen sind, Albrecht - der ein Freund von mir ist - von mir aus angerufen, um ihn davon zu unterrichten und mich zu entschuldigen. Er fand das natürlich nicht schön, aber auch nicht sehr schlimm. Die Frage ist nun – viele der in Ihrem Schriftsatz genannten Stellen beziehen sich auf den Aufsatz von Albrecht – wie oder warum man mir Mutwilligkeit, also den Raub fremden geistigen Eigentums unterstellen möchte, wenn ich die Fehler selber anzeige, also sichtlich kein Interesse an einem Vertuschen hatte? Ähnliches gilt mit Blick auf die in Ihrem Schriftsatz inkriminierten Stellen von Matthias Grefrath, ebenfalls ein Freund von mir. Diese Zitierfehler habe ich auf dem Literaturfestival Berlin im Sommer 2021 sogar öffentlich eingestanden, als ich gesehen habe, dass Matthias im Publikum bei meiner Buchvorstellung saß. Warum sollte ich aus freien Stücken und öffentlich Fehler eingestehen, wenn ich etwas verbergen möchte? Die naheliegende Begründung für die Fehler ist, dass eine saubere Bearbeitung der Quellen dem zeitlichen Druck der vorgezogenen Manuskriptabgabe zum Opfer gefallen ist und diese Stellen jene „Post-it’s“ waren, die ich noch für eine Überarbeitung angebracht hatte, bevor aus dem noch unkorrigierten Manuskript überstürzt ein Dummy für die Buchmesse wurde.
Sowohl Albrecht von Lucke wie Matthias von Grefrath, die ich in dieser Angelegenheit noch im August 2022 in Berlin gesprochen und über die Einsetzung einer Kommission informiert habe, haben mir zugesichert, der Kommission die o.g. Darstellung mündlich oder schriftlich zu bestätigen. Ich gebe der Kommission gerne ihre Kontaktdaten.“

Bericht der Untersuchungskommission

mit Kommentaren von Lydia Elmer und Tove Soiland

Download:

Wer schweigt, stimmt zu.

Über den Zustand unserer Zeit und darüber, wie wir leben wollen (2022)

Nr. 1

Seite
51

Text
Baudrillards Werk Der symbolische Tausch und der Tod von 1976 ist überhaupt das Buch zum Zeitgeschehen: Nach den drei Ordnungen des Simulakrums leben wir heute im Zeitalter der Simulation, einem gesellschaftlichen Zustand, in dem Zeichen und Wirklichkeit zunehmend ununterscheidbar werden; und in dem Werbung und Konsum immer wichtiger werden, weil das gesamtgesellschaftliche Geschehen nur noch aufrechterhalten werden kann, wenn jeder an seinem Platz bleibt.

[Hier wird nicht die Originalquelle zitiert, sondern aus Wikipedia als Sekundärquelle abgeschrieben.]

Text Quelle
Baudrillard unterscheidet drei Zeitalter des Zeichens bzw. „drei Ordnungen des Simulakrums“: Nach dem Zeitalter der „Imitation“ und demjenigen der „Produktion“ leben wir heute im Zeitalter der „Simulation“ – einem gesellschaftlichen Zustand, in dem Zeichen und Wirklichkeit zunehmend ununterscheidbar werden.

Quelle
https://de.wikipedi a.org/wiki/Der_sy mbolische_Tausch_ und_der_Tod

schon in der Version vom 28.10.2015 vorhanden

Kommentar (Soiland/Elmer)
Die Autorin rekurriert an dieser Stelle summarisch auf Baudrillards Konzept des Simulakrums, sie nennt Autor, Werk und Erscheinungsjahr. Beanstandet wird, dass sie sich dabei in einem Teilsatz an einen Teilsatz des entsprechenden Wikipedia-Artikels anlehnt, ohne dies zu kennzeichnen. Da es sich dabei um eine allgemein bekannte Kernaussage aus Baudrillards Theorie des Simulakrum handelt, bleibt der Vorwurf des Abschreibens hypothetisch. Uns scheint dabei massgeblich, dass die Autorin in ihrem Rekurs auf Baudrillards Werk auf etwas anderes zielt als das, was auf Wikipedia zu diesem Werk steht. Um ein Plagiat im eigentlichen Sinne handelt es sich dabei nicht, wenn darunter die Aneignung fremden Gedankengutes verstanden wird.

Nr. 2

Seite
56

Text
Dabei formulierte sogar Einstein, dem wir keine Irrationalität unterstellen wollen, solche schönen Sätze wie Das Schönste, was wir erleben können, ist das Geheimnisvolle oder Fantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt.

[Hier wird die Sekundärquelle, aus der die Zitate stammen dürften, nicht angegeben.

Text Quelle
"Das Schönste, was wir erleben können, ist das Geheimnisvolle."

"Phantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt."

Kommentar (Soiland/Elmer)
Beanstandet wird, dass die Autorin zwei allgemein bekannter Aussprüche Albert Einsteins nicht mit einer Quellenangabe versieht. Ein alltagsmächtig gewordenes Sprichwort zu zitieren bedarf unseres Erachtens keines Quellenhinweises. Zudem nennt die Autorin den Urheber (Einstein). Eine wissenschaftliche oder inhaltliche Relevanz hätte die Quellenangabe sowieso nicht. Es gibt auf Google nahezu 200 Einträge zu diesem Zitat. Der Vorwurf des Plagiates erscheint uns hier wenig sinnvoll.

Nr. 3

Seite
59 f.

Text
Der Deutsche Ethikrat empfahl die »Diskriminierung von Ungeimpften«, obgleich die Parlamentarische Versammlung des Europarates am 27. Januar 2021 die Resolution 2361 verabschiedet hatte. Darin heißt es in Paragraph 7.3. ff.: »Es ist sicherzustellen, dass die Bürger darüber informiert werden, dass die Impfung NICHT verpflichtend ist, und dass niemand politisch, gesellschaftlich oder anderweitig unter Druck gesetzt wird, sich impfen zu lassen, wenn er dies nicht selbst möchte. (…) Es ist sicherzustellen, dass niemand diskriminiert wird, weil er nicht geimpft wurde, aufgrund möglicher Gesundheitsrisiken oder weil er sich nicht impfen lassen möchte.«

[Der Zusammenhang mit der Formulierung („Diskriminierung von Ungeimpften“) und die Hervorhebung („NICHT“) legen nahe, dass der Passus einschließlich der deutschen Übersetzung der fraglichen Bestimmung der Resolution der Parlamentarischen Versammlung des Europarats aus der im Buch nicht angegebenen Sekundärquelle stammt.]

Text Quelle
Im Karlsruher Krankenhaus geschah dieses Verbrechen an einem Ungeimpften trotz eines Beschlusses des Europarats, der jegliche Diskriminierung von Ungeimpften ausdrücklich verbietet. Die Parlamentarische Versammlung des Europarates hatte am 27. Januar 2021 die Resolution 2361 verabschiedet. Darin heißt es unter anderem im Paragraph 7.3:

7.3.1 „Es ist sicherzustellen, dass die Bürgerdarüber informiert werden, dass die Impfung NICHT verpflichtend ist, und dass niemand politisch, gesellschaftlich oder anderweitig unter Druck gesetzt wird, sich impfen zu lassen, wenn er dies nicht selbst möchte“

7.3.2 „Es ist sicherzustellen, dass niemand diskriminiert wird, weil er nicht geimpft wurde, aufgrund möglicher Gesundheitsrisiken oder weil er sich nicht impfen lassen möchte“

Kommentar (Soiland/Elmer)
Hier handelt es sich um eine nicht weiter begründete Unterstellung, die Autorin habe die zitierte Resolution 2361 des Europarates vom 27. Januar 2021 nicht von dort zitiert, sondern aus einer Sekundärquelle. Liest man die entsprechende Quelle auf Französisch (Original:
https://pace.coe.int/fr/files/29004/html), ist die Passage jedoch korrekt übersetzt und richtig angegeben. Die Autorin spricht perfekt Französisch und es ist nicht einzusehen, warum sie das Zitat nicht selber übersetzt haben soll. Allenfalls kann man bemängeln, dass das „NICHT“ eine von der Autorin stammende Hervorhebung ist, die nicht als solche gekennzeichnet ist. Ansonsten ist an diesem Zitat nichts zu bemängeln. Die Setzung in roter Schrift suggeriert hier zu Unrecht ein Plagiat.

Nr. 4

Seite
66

Text
»Mit dem Gehorsam geben wir unsere eigenen Gefühle und Wahrnehmungen auf. Wird ein Mensch im Verlauf seiner Identitätsentwicklung einmal in diese Richtung gezwungen, verläuft seine Entwicklung nach Gesetzen, die völlig anders sind als die, die das heute gängige psychologische Denken vorgibt. Das Festklammern an der Autorität wird dann zu einem Lebensgrundsatz. Obwohl man sie hasst, identifiziert man sich mit ihr. »Die Unterdrückung des Eigenen löst Hass und Aggressionen aus, die sich aber nicht gegen den Unterdrücker richten dürfen, sondern an andere weitergegeben werden«, schrieb Arno Gruen, Psychoanalytiker, 1923 in Berlin geboren, der 1936 in die USA emigrierte.

[Hier wird die genaue Quelle nicht angegeben.]

Text Quelle
Mit dem Gehorsam geben wir unsere eigenen Gefühle und Wahrnehmungen auf. Wird ein Mensch im Verlauf seiner Identitätsentwicklung einmal in diese Richtung gezwungen, verläuft seine Entwicklung nach Gesetzen, die völlig anders sind als die, die das heute gängige psychologische Denken vorgibt. Das Festklammern an der Autorität wird dann zu einem Lebensgrundsatz. Obwohl man sie hasst, identifiziert man sich mit ihr. Die Unterdrückung des Eigenen löst Hass und auch Aggressionen aus, die sich aber nicht gegen den Unterdrücker richten dürfen, sondern an andere Opfer weitergegeben werden.

Kommentar (Soiland/Elmer)
Hier wird bei einem Zitat von Arno Gruen beanstandet, dass die Quelle nicht angegeben ist. Die Autorin nennt aber den Autor, was für einen Essay genügend ist. Sie zitiert aus einem (im Internet auf zahlreichen Seiten zu findenden) Vortrag und setzt das Zitat korrekt in Anführungszeichen. Allenfalls kann man hier beanstanden, dass zwei Worte aus dem Original in ihrem Zitat fehlen. Um ein Plagiat handelt es sich jedoch in keiner Weise.

Nr. 5

Seite
70

Text
In seinem 1978 erschienenen Buch Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Wahn – Täuschung – Verstehen klärt der berühmte österreichische Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick auf amüsante Weise darüber auf, dass die Wirklichkeit nicht immer das ist, was wir für die Wirklichkeit halten. Was wir Wirklichkeit zu nennen pflegen, ist, so Watzlawick, kurzgefasst, das Ergebnis zwischenmenschlicher Kommunikation.

Text Quelle
Paul Watzlawick klärt auf unkonventionelle und amüsante Weise darüber auf, was die sogenannte Wirklichkeit tatsächlich ist. Denn sie ist keineswegs das, was wir naiv „Wirklichkeit“ zu nennen pflegen, sie ist vielmehr das Ergebnis zwischenmenschlicher Kommunikation, was Watzlawick mit vielen verblüffenden Beispielen belegt.

Quelle

Paul Watzlawick, Wie wirklich ist die Wirklichkeit, 1976, Klappentext der Sonderausgabe 2003.

Kommentar (Soiland/Elmer)
Hier ist die Beanstandung zum Werk von Watzlawick unklar. Der Kommentator stellt dem von der Autorin benutzten Exemplar von 1978 eine Ausgabe von 2003 gegenüber. Die Autorin paraphrasiert die Kernaussage des Werkes. Ob sie sich dabei an den Klappentext der Taschenbuchausgabe anlehnt oder nicht, ist nicht erkennbar und erscheint uns nicht als relevant. Da es sich um eine Paraphrasierung handelt, sind Anführungszeichen nicht notwendig. Die Quellenangabe 1978 ist korrekt. Die Qualifizierung als Plagiat (rot) ist somit irreführend.

Nr. 6

Seite
71 - 74

Text
Fürst Myschkin, der Held des Romans Der Idiot, verkörpert die moderne Tendenz zum Chaos, heute gerne Komplexität genannt. Der Idiot zerbricht die Gesetzestafeln nicht. Er dreht sie nur um und zeigt, dass auf der Rückseite das Gegenteil geschrieben steht. Im Grunde ist dies eine romaneske Verarbeitung der sokratischen Frage »Ist das so?«, die Sokrates bekanntermaßen jedem stellte, der ihm etwas erzählt hat. Ein noch eindrucksvolleres Beispiel ist die legendäre Szene in den Brüdern Karamasow, in dem der Großinquisitor auftritt. Sie spielt im 16. Jahrhundert in Sevilla, wo der greise Kardinal- Großinquisitor über die reine Lehre wacht, als Er (gemeint ist Jesus Christus) noch einmal herabsteigt und sofort vom Volk erkannt wird. In einem großartig beschriebenen Show-Down zwischen Jesus und dem Inquisitor merkt das Volk intuitiv, dass der Großinquisitor, der vorgibt, die reine Lehre von Jesus Christus zu predigen, ganz andere Dinge sagt und tut als Jesus, der die reine Lehre ist. Jesus weigert sich, die Menschen ihrer Freiheit zu berauben, ja, sogar, die Wüste in Brot zu verwandeln, denn was wäre die Freiheit, wenn sie mit Brot erkauft wäre? Der Kardinal hingegen schnaubt, damit beraube er, Jesus, die Menschen ihrer tiefsten Sehnsucht, nämlich jemanden zu finden, der ihnen die furchtbare Last der Freiheit abnehme. Der Kardinal rechtfertigt sich gegenüber Jesus, indem er sagt: »Wir haben deine Taten verbessert und sie auf (…) Autorität aufgebaut. Und die Menschen freuen sich, dass sie wieder wie eine Herde geführt werden und dass von ihren Herzen endlich das so furchtbare Geschenk der Freiheit, das ihnen so viel Qual gebracht wurde, genommen wurde.«

Die Geschichte ist fiktiv, aber ihre Implikationen sind es keineswegs. Sowohl Jesus als auch der Großinquisitor haben sich dem Wohle der Menschheit verschrieben, und dennoch trennt sie eine unüberbrückbare Kluft: die Paradoxie des Helfens und das von ihr untrennbare Problem der Macht. Jesus, so lautet die Anklage des Großinquisitors, wünscht spontanen Gehorsam aus freien Stücken und schafft damit eine Paradoxie, deren Lösung dem Menschen unmöglich ist: Wie kann man frei und gehorsam sein? Für den Kardinal besteht die wahre Erlösung des Menschen darin, ihm die schreckliche Last der Freiheit abzunehmen; ihn unfrei, aber glücklich zu machen. Für Jesus hingegen ist das Ziel Freiheit, nicht Glück.

Dostojewskis Poem bedeutet Grundverschiedenes, je nachdem, ob wir die Welt im Sinne Jesu oder des Großinquisitors sehen. Wem aber beide Anschauungen zugänglich sind, der verliert den Boden vermeintlicher Wirklichkeit unter den Füßen und gewinnt so die Möglichkeit, neben der eigenen Erkenntnis immer auch die Sichtweisen Anderer zu durchdenken. 

Eine solche doppelbödige Wirklichkeit findet man auch in Kafkas Roman Der Prozess. »Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne, dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines morgens verhaftet«, so lautet der erste Satz. Doch der Prozess findet niemals statt. K. ist weder frei noch eingekerkert. Das Gericht teilt ihm niemals mit, wessen er angeklagt ist; kurz: K. erhält keine Klarheit über sein Schicksal. Dann kommt die berühmte Parabel vom Türhüter, die K. von einem Geistlichen erzählt wird: Vor dem Gesetz steht ein Türhüter. Ein Mann bittet um Einlass, aber der Eintritt wird ihm vom Türhüter nicht gewährt. Das Tor zum Gesetz ist also offen, trotzdem kommt der Mann nicht hinein. Er erfährt immer nur, dass er noch nicht eintreten könne. »Alle streben doch nach dem Gesetz«, sagt der Mann zu dem Türhüter schließlich nach jahrelangem Warten, kurz vor seinem Tod. »Wie kommt es, dass in den vielen Jahren niemand außer mir Einlass verlangt hat?« »Hier konnte niemand sonst Einlass erhalten, denn dieser Eingang war nur für dich bestimmt«, antwortet der Türhüter. Jeder hat also seinen Eingang oder Zugang zum Gesetz; und mithin einen eigenen Standpunkt in der Welt.

Die Frage ist nun, ob der Türhüter den Mann getäuscht hat, indem er ihn nie eingelassen hat, obgleich die Tür nur für ihn war, wie K. sofort denkt. Oder ob es eine zweite Deutung gibt, nach der der Türhüter der Getäuschte ist, wie der Geistliche vorbringt. Diese zweite Deutung nun findet K. überzeugend und sagt zum Geistlichen schließlich: »Das ist gut begründet, und ich glaube nun auch, dass der Türhüter getäuscht ist.« Doch sofort rügt der Geistliche K.s Einverständnis, indem er sagt: »An der Lauterkeit des Türhüters zu zweifeln, hieße, am Gesetz selbst zu zweifeln.« Jetzt ist es wieder an K., den Kopf zu schütteln, und er widerspricht: »Wenn man sich dieser Meinung anschließt, muss man alles, was der Türhüter sagt, für wahr halten. Dass das aber nicht wahr ist, hast du ja selbst ausführlich begründet.« »Nein«, sagt der Geistliche, »man muss nicht alles für wahr halten, man muss es nur für notwendig halten.« – »Trübselige Meinung«, sagt K. daraufhin. »So wird die Lüge zur Weltordnung gemacht.« Diese Gefahr, dass nämlich unter dem Deckmantel der Notwendigkeit von der gemeinschaftlichen Suche nach dem Richtigen Abstand genommen wird, habe ich zu Anfang am Beispiel der Kernenergie gezeigt. K. und der Geistliche sprechen tatsächlich von zwei verschiedenen Weltordnungen, und deshalb erschöpft sich ihr Gespräch in derselben Zweideutigkeit, die allem Streben K.s nach Gewissheit zuwiderläuft. Wer immer glaubt, es gäbe eine letzte und unumstößliche Gewissheit als Ziel allen Denkens, von der aus man die »richtige Entscheidung« für laufende Geschehnisse ableiten könne, spricht sich letztendlich gegen die Demokratie aus, denn diese beruht gerade auf dem Austausch ungleicher Meinungen beziehungsweise »Gewissheiten«.

[Hier wird umfänglich plagiiert. Die vorangegangene Erwähnung des Verfassers (ohne genaue Quellenangabe) stellt kein hinreichendes Zitat dar, weil die breiten, wörtlichen Übernahmen als solche nicht kenntlich gemacht werden und spätestens ab S. 72 („Die Geschichte ist fiktiv …“) der Leser davon ausgeht, dass ihm eigene Überlegungen der Autorin präsentiert werden, obwohl es sich um eine fast wortlautidentische Rezeption des Watzlawickschen Textes handelt.]

Text Quelle
Für [Hermann] Hesse verkörpert vor allem Fürst Myschkin, der Held des Romans ‚Der Idiot‘, diese moderne Tendenz zum Chaos. ‚Der Idiot‘, schreibt Hesse‚ zerbricht die Gesetzestafeln nicht, er dreht sie nur um und zeigt, daß auf der Rückseite das Gegenteil geschrieben steht‘. Ein noch eindrucksvolleres Beispiel dafür findet sich aber in Dostojewskis Roman ‚Die Brüder Karamsoff‘, und zwar im Poem von Großinquisitor, das in seiner Tiefe wohl nur in Kafkas Parabel vom Türhüter seinesgleichen hat. Wir wollen uns daher diese beiden Dokumente der Weltliteratur ins Gedächtnis rufen. (…) Die Handlung spielt im Sevilla des 16. Jahrhunderts, zur schrecklichsten Zeit der Inquisition, am Tage nachdem auf Befehl des greisen Kardinal-Inquisitors in einem prächtigen Autodafé fast hundert Ketzer ad majorem gloriam Die bei lebendigem Leibe verbrannt worden sind (…). An diesem Tag steigt Er nochmals herab und wird sofort von seinem leidenden Volke erkannt und verehrt. Der Kardinal aber läßt Ihn (sic!) verhaften (…). Dann erhebt der Großinquisitor die schwerste und schrecklichste Anklage, die je gegen das Christentum vorgebracht wurde: Jesus hat die Menschheit betrogen, da Er wissentlich und absichtlich die einzige Möglichkeit verwarf, die Menschen glücklich zu machen. (…) Als erstes, so führt der Kardinal aus, versuchte Ihn der Geist, die Steine der Wüste in Brot zu verwandeln. Er aber verschmähte dies, denn er wollte den Menschen nicht der Freiheit berauben, und was wäre die Freiheit, wenn sie mit Brot erkauft wäre? Damit aber beraubte er den Menschen seiner tiefsten Sehnsucht: jemanden zu finden, den alle gemeinsam verehren können, der ihnen die furchtbare Last der Freiheit abnimmt. (…) ‚Wir‘, sagt der Kardinal, ‚(…) haben deine Taten verbessert und sie auf dem Wunder, dem Geheimnis und der Autorität aufgebaut. Und die Menschen freuen sich, daß sie wieder wie eine Herde geführt werde und daß von ihrem Herzen endlich das ihnen so furchtbare Geschenk, das ihnen soviel Qual gebracht hatte, genommen wurde. (…)

Die Geschichte ist fiktiv, aber ihre Implikationen sind es keineswegs. Sowohl Christus wie der Großinquisitor haben sich dem Wohle der Menschheit verschrieben, und dennoch trennt sie eine unüberbrückbare Kluft: die Paradoxie des Helfens und das mit ihr untrennbare verbundene Problem der Macht. (…) Jesus, so lautet die Anklage des Großinquisitors, wünscht spontanen Gehorsam und schafft damit eine Paradoxie, deren Lösung dem Menschen unmöglich ist. Für den Kardinal besteht die wahre Erlösung des Menschen darin, ihm die schreckliche Last der Freiheit abzunehmen; ihn unfrei, aber glücklich zu machen. Für Jesus dagegen ist das Ziel die Freiheit, nicht das Glück. Iwan Karamasoffs (sic!) Poem bedeutet Grundverschiedenes, je nachdem, ob wir die Welt im Sinne Jesu oder des Großinquisitors sehen. Wem aber beide Anschauungen zugänglich sind, der verliert den sicheren Boden vermeintlicher Wirklichkeit unter den Füßen und verfängt sich in einem Universum, in dem alles wahr ist, auch das Gegenteil.

„Jemand mußte Josef K. verleumdet haben, denn ohne daß er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.« – So beginnt Kafkas rätselhafter Roman »Der Prozeß«. Doch der Prozeß findet niemals statt; K. ist weder frei noch eingekerkert; das Gericht teilt ihm niemals mit, wessen er angeklagt ist; (…) In einer der letzten Szenen spricht K. im Dom mit dem Gerichtskaplan, und als er, wie schon so oft, erneut versucht, Klarheit über sein Schicksal zu erhalten, unternimmt es der Geistliche, ihm seine Lage mit folgender Parabel zu »erklären«: Vor dem Gesetz steht ein Türhüter. Zu diesem Türhüter kommt ein Mann vom Lande und bittet um Eintritt in das Gesetz. Aber der Türhüter sagt, daß er ihm jetzt den Eintritt nicht gewähren könne. Der Mann überlegt und fragt dann, ob er also später werde eintreten dürfen. »Es ist möglich«, sagt der Türhüter, »jetzt aber nicht.« Da das Tor zum Gesetz offensteht wie immer und der Türhüter beiseite tritt, bückt sich der Mann, um durch das Tor in das Innere zu sehen. (…) Dort sitzt er Tage und Jahre. Immer wieder versucht er, eingelassen zu werden oder wenigstens eine endgültige Antwort zu erhalten, erfährt aber stets nur, daß er noch nicht eintreten könne. Nun lebt er nicht mehr lange. Vor seinem Tode sammeln sich in seinem Kopfe alle Erfahrungen der ganzen Zeit zu einer Frage, die er bisher an den Türhüter noch nicht gestellt hat. Er winkt ihm zu, da er seinen erstarrenden Körper nicht mehr aufrichten kann. Der Türhüter muß sich tief zu ihm hinunterneigen, denn die Größenunterschiede haben sich sehr zuungunsten des Mannes verändert. »Was willst du denn jetzt noch wissen?« fragt der Türhüter, »du bist unersättlich.«

»Alle streben doch nach dem Gesetz«, sagt der Mann, »wie kommt es, daß in den vielen Jahren niemand außer mir Einlaß verlangt hat?« Der Türhüter erkennt, daß der Mann schon am Ende ist, und um sein vergehendes Gehör noch zu erreichen, brüllt er ihn an: »Hier konnte niemand sonst Einlaß erhalten, denn dieser Eingang war nur für dich bestimmt. Ich gehe jetzt und schließe ihn.«

»Der Türhüter hat also den Mann getäuscht«, sagte K. sofort, von der Geschichte sehr stark angezogen. Doch nun beweist der Geistliche ihm sorgfältig und überzeugend, daß den Türhüter keine Schuld trifft, ja, daß er weit über seine Pflicht hinausging, dem Manne zu helfen. K. ist verblüfft, kann sich aber der Stichhaltigkeit der Deutung nicht entziehen. »Du kennst die Geschichte genauer als ich und längere Zeit«, räumt er dem Geistlichen ein. »Du glaubst also, der Mann wurde nicht getäuscht?«

»Mißverstehe mich nicht«, sagt der Geistliche und beweist K. nun, daß es eine zweite Deutung gibt, nach welcher gerade der Türhüter der Getäuschte ist. Und so überzeugend ist auch diese zweite Exegese, daß K. am Ende wiederum zugeben muß: »Das ist gut begründet, und ich glaube nun auch, daß der Türhüter getäuscht ist.« Doch sofort findet der Geistliche wieder etwas an K’s Einverständnis zu rügen: An der Lauterkeit des Türhüters zu zweifeln, hieße am Gesetz selbst zu zweifeln. »Mit dieser Meinung stimme ich nicht überein«, sagt K. kopfschüttelnd,» denn wenn man sich ihr anschließt, muß manalles, was der Türhüter sagt, für wahr halten. Daß das aber nicht wahr ist, hast du ja selbst ausführlich begründet.« »Nein«, sagt der Geistliche, »man muß nicht alles für wahr halten, man muß es nur für notwendig halten.« »Trübselige Meinung«, sagt K. »die Lüge wird zur Weltordnung gemacht«. K. und der Geistliche sprechen tatsächlich von zwei verschiedenen Weltordnungen, und deshalb erschöpft sich ihr Gespräch in derselben Zweideutigkeit, die allem Streben K’s nach Gewißheit zugrunde liegt. Wenn immer er glaubt, Sinn und Ordnung in den ihn umgebenden und seine »rechte« Entscheidung fordernden Geschehnissen entdeckt zu haben, wird ihm bewiesen, daß dieser Sinn nicht der richtige Sinn ist.

Quelle

Paul Watzlawick, Wie wirklich ist die Wirklichkeit, 1976, S.77–82.

Kommentar (Soiland/Elmer)
Hier beanstandet der Kommentator, dass umfangreich aus einem Abschnitt aus Paul Watzlawick Wie wirklich ist die Wirklichkeit? (dort S. 77-82) abgeschrieben werde. Zwar lehnt sich die Autorin offensichtlich an diese Passage dieses Werkes, das sie auch nennt, an. Der Text des Kommentators unterscheidet in der Folge jedoch nicht zwischen Zitaten aus den beiden Romanen Die Brüder Karamasow (Dostojewski) und Der Prozess (Kafka) und Watzlawicks eigenen Kommentaren. So suggeriert der Kommentar auch dort Plagiate, wo die Autorin korrekt aus diesen beiden Werken zitiert, was uns unstatthaft erscheint. Auch macht es wenig Sinn, einzelne Wörter wie „Parabel“, „Großinquisitor“, „Geistlichen“ oder „Brüder Karamasow“ als rot (und damit als Plagiat) zu markieren, da das Verwenden derselben Wörter naheliegt, wenn derselbe Romantext interpretiert wird. An drei Stellen werden Passagen als rot markiert, die sich so bei Watzlawick nicht finden („Ein Mann bittet um“; „das Tor zum Gesetz […] offen“; „Türhüter den Mann getäuscht hat“), was auf eine gewisse Unsorgfältigkeit des Kommentators hinweist.


Wir stimmen aber mit dem Kommentator überein, dass die beiden Passagen S. 68: „Die Geschichte ist fiktiv, …“ und S. 70: „K. und der Geistliche sprechen tatsächlich …“ wortidentisch mit Watzlawick sind und als das hätten gekennzeichnet werden müssen. Allerdings ist auch hier festzuhalten, dass die Autorin bei dieser Passage zu einem anderen Schluss kommt als Watzlawick resp. die entsprechenden Romanpassagen anders interpretiert. So geht es der Autorin (S. 70) darum, dass es keine Gewissheit geben kann und dass das für eine Demokratie notwendig sei, während Watzlawick die beiden Parabeln bei Dostojewski und Kafka eher pessimistisch auslegt.


Problematisch erscheint uns an diesem Kommentar, dass die Relation von beanstandetem bei Watzlawick abgeschriebenen Text und den korrekt angegebenen Zitaten aus Dostojewski und Kafka verschwindet (abgeschrieben ist ca. ein Abschnitt, beanstandet werden aber insgesamt 4 Buchseiten), sodass es graphisch so erscheint, wie wenn hier das meiste abgeschrieben wäre, was nicht der Tatsache entspricht.

Nr. 7

Seite
82

Text
Wenn sie erfolgreich sind, schreibt Popitz, vollziehen sich die Prozesse der Machtnahme mit einer Selbstverständlichkeit, als seien die Lose schon vorher verteilt worden. Das fordert Mystifizierungen und Ideologisierungen geradezu heraus.
(…) Die Machtnahme kann ex-post dann als allgemeiner Konsens gedeutet werden, besonders dann, wenn eine Bedrohung von außen den Entscheidungsbedarf (und den Druck auf die Schnelligkeit der Entscheidung) erhöht.

[Auf S. 81 bezieht sich die Autorin auf die angeblich 1972 erschienene Schrift „Theorien der Macht“ von Heinrich Popitz. Eine Schrift dieses Namens gibt es nicht; es dürfte sich um eine Übernahme aus dem in der rechten Spalte angegebenen Titeln handeln.]

Text Quelle
Wenn sie aber erfolgreich sind, vollziehen sich die Prozesse der Machtnahme häufig mit einer so absurden Selbstverständlichkeit, als seien die Lose schon vorher verteilt. Das fordert Mystifikationen und Ideologisierungen heraus.
(…)
Die Deutung von Machtbildungen als Ausdruck eines allgemeinen consensus, – besonders naheliegend etwa dann, wenn eine Bedrohung von außen den Entscheidungsbedarf der Gruppen erhöht; die Deutung von Machtbildungen als Autoritätswirkung einer Person; pure Vergewaltigungen, die sich als bloße Vollstreckungsreaktionen auf eine bereits vorher ausgebildete Überlegenheit zurückführen lassen.

Quelle

Popitz, Heinrich, Phänomene der Macht, 1986, S. 187 f. = Prozesse der Machtbildung, ³1976, S. 5 f.

Kommentar (Soiland/Elmer)
Hier wird bemängelt, dass die Autorin ein Werk von Heinrich Popitz zitiert, das es nicht gibt. Hierzu ist zunächst zu berichtigen: Die Autorin bezieht sich nicht auf ein spezielles Werk von Popitz, sondern spricht generell von „seinen Theorien der Macht“ (S. 81), die sie zusammenfassend, d.h. unter Nennung seines Namens, darstellt.


1968 erschien von Popitz das kleine Werk Prozesse der Machtbildung, das später in sein Buch Phänomene der Macht (1986) in die 2. stark erweiterte Auflage von 1992 als eigenes Kapitel aufgenommen wurde. Ob die Autorin tatsächlich aus einem der Ausgaben zitiert oder aus eigenen Notizen oder Exzerpten, ist nicht zu eruieren, da es sich nur um einzelne Worte handelt, die mit dem Wortlaut des Textes Prozesse der Machtbildung identisch sind. Hier von einem Plagiat zu sprechen, erscheint uns nicht sinnvoll.


Die Aussage des Kommentators: „Auf S. 81 bezieht sich die Autorin auf die angeblich 1972 erschienene Schrift ‚Theorien der Macht‘ von Heinrich Popitz“ ist somit falsch.

Nr. 8

Seite
85

Text
Und so produziert sich scheinbar in einer Endlosschleife, was David Hume schon im 18. Jahrhundert zu Papier gebracht hat: »Nothing appears more surprising to those who consider human affairs with a philosophic eye than the easiness with which the many are governedby the few.«

[Die genaue Quelle des Zitats wird nicht angegeben, es ist nicht fernliegend, dass es nicht aus der Originalquelle (rechte Spalte), sondern aus der unter Nr. 8 aufgeführten Schrift von Popitz (1976) übernommen worden ist, bei der es am Anfang als Überschrift steht.]

Text Quelle
Nothing appears more surprising to those who consider human affairs with a philosophic eye than the easiness with which the many are governed by the few;

Quelle

Hume, David, Essay IV Of the First Principles of Government, 1741, 1777

https://davidhume.org/texts/empl1/fp

Kommentar (Soiland/Elmer)
Hier wird die mangelnde Quellenangabe beanstandet. Der Autor David Hume wird aber genannt. Für ein Essay ist das kein nennenswertes Vergehen. Um ein Plagiat (was wiederum die Schriftsetzung in rot nahelegt), handelt es sich in jedem Fall nicht, da die Anführungszeichen korrekt gesetzt sind. Das Zitat ist für jeden Internetbenutzer leicht auffindbar.

Nr. 9

Seite
103

Text
Für Peter Thiel und seinen Firmenkumpel Christian Angermayer werden in Zukunft die BCIs (Brain-Computer-Interfaces) so gewöhnlich wie heute ein Herzschrittmacher: »Menschen werden miteinander kommunizieren, arbeiten und sogar künstlerisch tätig sein können, direkt gesteuert durch ihren Geist.«

Text Quelle
Investor Christian Angermayer glaubt: „In der Zukunft könnten BCIs so gewöhnlich werden wie Herzschrittmacher heute.“ Für Angermayer ist die medizinische Anwendung nur der Beginn.

Er hofft, dass die Technologie noch ein viel breiteres Anwendungsfeld finden wird: „Menschen werden miteinander kommunizieren, arbeiten und sogar künstlerisch tätig sein können, direkt gesteuert durch ihren Geist.“

Kommentar (Soiland/Elmer)
Hier zitiert die Autorin Christian Angermayer. Sie nennt ihn und gibt seine Äußerung in Anführungszeichen wieder. Tatsächlich nennt sie hier keine Quelle. Diese Äußerung von Thiel und Angermayer wird auf zahlreichen Websites wiedergegeben. Warum der Kommentator Die Welt als Quelle angibt und damit unterstellt, die Autorin hätte diese Quelle angeben müssen, bleibt unklar. Es scheint sich eher um eine Pressemitteilung zu handeln. Jedenfalls handelt es sich hier nicht um ein Plagiat, da der Autor genannt und die Aussage als solche gekennzeichnet ist.

Nr. 10

Seite
119

Text
Die Globalisierung versprach die ewige Gegenwart des Hyperkonsums, der grenzenlosen Produktion und der politischen Vereinigung der Welt.

Text Quelle
ewige Gegenwart des Hyperkonsums, der grenzenlosen Produktion und der politischen Vereinigung der Welt.

Quelle

Marina Garces: Neue radikale Aufklärung, Wien 2019, S. 34

Kommentar (Soiland/Elmer)
Hier wird ein nicht ausgewiesenes Zitat bemängelt. Tatsächlich handelt es sich bei diesem Teilsatz um eine wortidentische Übernahme ohne Quellenangabe. Ob ein nicht ausgewiesener Satzteil allerdings als Plagiat einzustufen ist, überlassen wir der Leserschaft zur Beurteilung.

Warum Europa eine Republik werden muss!

Eine politische Utopie (1. Aufl. 2017, Seitenangaben sind solche der 3. Aufl. 2019)

Nr. 1

Seite
65 - 67

Text
Die linksradikale Gruppe um den ehemaligen Finanzminister Yanis Varoufakis (die im Übrigen eine europäische Parteigründung plant) und zu der Jean-Luc Mélenchon aus Frankreich ebenso gehört wie Oskar Lafontaine aus Deutschland, ließen darauf verlauten: »Wir haben es hier mit der neoliberalen Variante der ›begrenzten Souveränität‹ zu tun, wie sie der  sowjetische Parteichef Breschnew 1968 formulierte. Damals haben die Sowjets den Prager Frühling mit Panzern niedergewalzt.

Diesen Sommer hat die europäische Union den Athener Frühling mit Banken niedergewalzt.« Wir mögen das griechische Verhalten aus einer (noch) gesättigten deutschen Perspektive moralisch verurteilen, aber faktisch gehen Rechts- und Linkspopulismus eine fatale Symbiose ein, die den Fortbestand der Demokratie in Europa längst gefährdet. Das alles erinnert wahlweise an den fatalen Jargon der zwanziger und dreißiger Jahre oder an eine Gleichsetzung der EU mit der UdSSR wie im Kalten Krieg. Aus der Geschichte aber wissen wir dreierlei. Erstens: Emotionsgeladener Populismus jedweder Art ist letztlich nicht zu zähmen. Zweitens: Linker Populismus, erst einmal geweckt, frisst seine  Kinder. Drittens: Faktisch tendieren unter Druck gesetztem Völker in der Regel nicht nach links – eine gut gemeinte und sogar sachlich gerechtfertigte Kritik an neoliberaler europäischer Sparpolitik arbeitet letztlich den Rechtspopulisten in die Hände. Fast ironisch muss daher anmuten, dass inmitten der liberalen EU marxistische Phrasen wieder fröhliche Urständ feiern.

»Das Lumpenproletariat, diese passive Verfaulung der untersten Schichten der alten Gesellschaft, wird durch eine proletarische Revolution stellenweise in die Bewegung hineingeschleudert, seiner ganzen Lebenslage nach wird es bereitwilliger sein, sich zu reaktionären Umtrieben erkaufen zu lassen.« Dieses Zitat aus der marxistischen Mottenkiste der politischen Philosophie gilt es zu bedenken, wenn heute soziale Unruhe im Abfackeln von Flüchtlingsheimen zum Ausdruck kommt. Hier geht es nicht nur um die alte historische Furcht vor dem Mob, hier geht es um Teile einer sozial abstürzenden Mitte, die sich mit dem neuen Dienstleistungsproletariat in einer »Koalition der Angst« zusammenrottet.

Die größte Gefahr besteht darin, dass die politische Mitte diese Situation kollektiv verdrängt. Das Versäumnis heißt: Nicht genau hinzuschauen. Das vorrevolutionäre populistische Potenzial auf der Rechten wie Linken wird kleingeredet oder moralisch diskreditiert. Mithin wird die dauerhafte Destabilisierung der politischen Parteiensysteme in Europa billigend in Kauf genommen, in der Hoffnung, der europäische Populismus könne dahinschmelzen, wenn die EU nur ein paar Prozentpunkte Wachstum mehr generiert – die sich indes ohnehin nicht am wirtschaftlichen Horizont abzeichnen. Im schlimmsten Fall erleben wir einen neuen ideologischen Bürgerkrieg in ganz Europa, der in Ansätzen bereits zu erkennen ist und eine doppelte Frontstellung hat: Radikale Verfeindungen zwischen den Nationen und den verschiedenen politischen Lagern.

Text Quelle
Mit exakt derselben populistischen (wie verschwörungslastigen) Argumentation gegen die „wirtschaftliche und politische Herrschaft der europäischen Oligarchie [...], die sich hinter der deutschen Regierung ver-steckt und sich dabei freut, dass Frau Merkel die Drecksarbeit übernimmt“, heißt es in dem Aufruf „Für einen Plan B in Europa“ von Oskar Lafontaine, Yanis Varoufakis und Anderen: „Wir haben  es  hier  mit der neoliberalen Variante der ‚begrenzten Souveränität’ zu tun, wie sie der sowjetische Parteichef Breschnew 1968 formulierte. Damals haben die Sowjets den Prager Frühling mit Tanks niedergewalzt. Diesen Sommer hat die Europäische Union den Athener Frühling mit Banken niedergewalzt.“ (S. 53)

Wer daher in der radikalen Linken auf die Freisetzung politischer Emotionen setzt, spielt mit dem Feuer. Faktisch gehen hier linker und rechter Radikalismus eine fatale Symbiose ein.
(…)
Ein derartiger linker Populismus, erst einmal geweckt, frisst seine Kinder.
(…)
Denn faktisch tendieren die vermeintlich guten Völker, so sie unter Druck gesetzt werden, in der Regel keineswegs nach links. Schon Karl Marx sah deshalb das Volk höchst unsentimental, und insbesondere dessen untersten Rand: „Das Lumpenproletariat, diese passive Verfaulung der untersten Schichten der alten Gesellschaft, wird durch eine proletarische Revolution stellenweise in die Bewegung hineingeschleudert,  seiner ganzen Lebenslage nach wird es bereitwilliger sein, sich zu reaktionären Umtrieben erkaufen zu lassen.“ Genau das erleben wir heute, wenn in Freital und Heidenau, aber auch in Lübeck und Reichertshofen die Asylbewerberheime abgefackelt werden. Hinter dieser Form der menschenverachtenden „Selbstjustiz“ verbirgt sich aber keineswegs nur der Mob, sondern auch ein Teil der immer prekärer werdenden Mitte, die sich mit dem neuen Dienstleistungsproletariat zu einer „Koalition der Angst“ (Heinz Bude) zusammentut. (S. 52)

Im schlimmsten Fall erleben wir einen neuen ideologischen Bürgerkrieg in ganz Europa, mit radikalen Verfeindungen zwischen den Nationen und den verschiedenen politischen Lagern. (S. 54)

Quelle

Albrecht von Lucke, EU in Auflösung?, Die Rückkehr der Grenzen und die populistische Gefahr, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 10/2015, S. 45 ff.

Volltext unter: https://www.blaetter.de/d ownload/pdf/26931

Siehe hierzu den Hinweis in den Endnoten, Teil I, Nr. 34, der in der 1. Auflage des Buches noch

fehlte: „Die nachfolgenden zwei Seiten bis Mitte S. 50 sind maßgeblich inspiriert von dem brillanten Artikel von Albrecht von Lucke, Die Rückkehr der Grenzen und die populistische Gefahr, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Oktober 2015.“

Ganz abgesehen davon, dass die Seitenangabe unzutreffend ist, geht das Plagiat deutlich weiter als in der Endnote eingeräumt.

Kommentar (Soiland/Elmer)
Die Autorin nennt Albrecht von Lucke in einer Anmerkung als Quelle für die folgenden Seiten. Zwar zitiert sie in der Folge einzelne Stellen wörtlich in Satzteilen, ohne dies mit Anführungszeichen auszuweisen. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass es sich hier um eine Paraphrasierung handelt.

Die rot markierten Stellen sind deshalb keine Plagiate im eigentlichen Sinne, da die Autorin die Quelle nennt. Die Zitierung erfolgt allerdings unsorgfältig. So werden übernommene Zitate nicht als Sekundärzitate gekennzeichnet (Marx, Manifest, zit. nach von Lucke, S. 52). Die Bemerkung des Kommentators: „Ganz abgesehen davon, dass die Seitenangabe unzutreffend ist, geht das Plagiat deutlich weiter als in der Endnote eingeräumt“ ist jedoch unzutreffend, da die Autorin eine summarische Quellenangabe macht. Zudem hat sich die Autorin für die unsorgfältige Zitation öffentlich entschuldigt, siehe Anmerkung in unserer Einleitung oben.

Nr. 2

Seite
134

Text
Die Bürger als Miteigentümer der öffentlichen Güter setzen eine Regierung als Verwalter für ihre gemeinsamen Interessen ein. Der Verwalter muss kontrolliert werden. Genau dieses Prinzip wird in EU-Europa systematisch durchbrochen, ja, es wird sogar in sein Gegenteil verkehrt, zum Beispiel bei den TTIP-Verhandlungen oder wenn etwa EU-Kommissionsbeamte zukünftig mit Blick auf die nationale Haushaltsüberwachung durchregieren, also de facto unkontrollierte Eingriffe in das öffentliche Wohl vornehmen dürfen, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen oder abgewählt werden zu können. Seit John Locke gilt für die moderne Demokratie, dass der »Agent« – in EU-Europa ist das die EU-Kommission – nur für eine begrenzte Zeit eingesetzt  ist  und  dem »Prinzipal« – also den Bürgern – Rechenschaft schuldet. Die Bürger haben ein Recht, ihre Agenten zu wählen, ihnen das Vertrauen wieder zu entziehen und andere zu ernennen.

Text Quelle
Die Bürger als Eigentümer der öffentlichen Güter setzen eine Regierung als Agenten und Verwalter für ihre gemeinsamen Interessen ein. Allerdings muss der Agent durch den Prinzipal kontrolliert werden. Dies hat zur Folge,  dass in einer Republik das zentrale Problem in der principal-agent Beziehung liegt. Seit Locke gilt  für moderne Demokratie, dass der Agent der Bürger ist für begrenzte Zeit eingesetzt ist und dem Prinzipal Rechenschaft schuldet. Die Bürger haben ein Recht, ihre Regierungen zu wählen und ihnen das Vertrauen zu entziehen und andere zu ernennen. In dieser Tradition konvergiert der demokratische Verfassungsstaat mit  der Republik.

Quelle

Stefan Collignon, Die Europäische Union als Republik

Vorabfassung (dort S. 13): http://www.stefancolligno n.de/PDF/Die_EU_als_Rep ublik.pdf

Erschienen in: EuR, Beiheft 1/2013, S. 131-151 (143)
(Volltextunter https://doi.org/10.5771/9783845245546-132)

Kommentar (Soiland/Elmer)
Die Autorin zitiert hier an beiden rot markierten Stellen wörtlich ohne Anführungs- und Schlusszeichen aus einem Text von Collignon. Allerdings ist Collignon in der Anmerkung im Satz vor der beanstandeten Stelle angegeben, mit dem Hinweis „dazu ausführlich Stefan Collignon, Die Europäische Union als Republik, S. 13“. Allenfalls kann man hier bemängeln, dass die Anmerkung einen Satz später stehen sollte, aber um ein Plagiat ohne Quellenangabe handelt es sich hier nicht.

Nr. 3

Seite
139 f.

Text
Wenn aber keine gesellschaftliche Instanz mehr erkennbar ist, die sich der Lösung sozialer Probleme annimmt, vielmehr alles  einem in der EU ohnehin weitgehend fiktiven Wirtschaftswachstum überantwortet wird, dann bilden sich unterhalb von Parteien und Institutionen politische Schwarzmarktphantasien,  die einfache Auswege aus der Misere suchen, auf umständliche demokratische Legitimationsprozesse verzichten und die emanzipatorische Funktion von Partizipation ins Gegenteil verkehren, nämlich in den Ruf nach Plebisziten, autoritären Voten oder gleich nach dem Faustrecht.

Text Quelle
Wenn Kapitalismus und Demokratie in der Vorstellungswelt der Menschen so miteinander verschmelzen, dass keine gesellschaftliche Instanz mehr erkennbar ist, die sich der Lösung sozialer Probleme annimmt, vielmehr alles dem Wirtschaftswachstum zuschreibt, dann bilden sich unterhalb der Institutionen oder Programme politische Schwarzmarktphantasien, die jene Auswege aus der Misere suchen, die auf umständliche demokratische Legitimationsstrukturen verzichten und die emanzipative Funktion plebiszitärer Partizipation ins Gegenteil, in autoritäre Voten verkehren.

Quelle

Oskar Negt, Gesell-schaftsentwurf Europa, Göttingen 2012, S. 55 f

Kommentar (Soiland/Elmer)
Hier stimmen Teile eines längeren Satzes mit Teilen eines Satzes aus Oskar Negts Buch überein. Oskar Negt ist mit diesem Werk zwei Anmerkungen weiter vorn genannt. Allenfalls kann man hier bemängeln, dass die Autorin hier diesen Verweis auf Negt nicht nochmals macht, obwohl sie ihn paraphrasiert. Sie unterschlägt jedoch den Autor, von dem sie sich hier inspirieren lässt, nicht. Ob dies als Plagiat gewertet werden soll, lassen wir offen.

Nr. 4

Seite
140

148

Text
Die wichtigste, aber derzeit knappste Ressource, die wir dafür haben, ist die Wut und die Energie des europäischen zoon politikon, das jede und jeder ist!

Angesichts der Skepsis gerade auch der am besten informierten Bürger, ob ihre Repräsentanten die Gestaltungsmacht über die Form der zukünftigen Technik und Lebenswelt gegen die global agierenden privatwirtschaftlichen Konzerne, Kartelle und Finanzoligarchien zurückgewinnen können, angesichts des anschwellenden, dumpfen Zweifels, ob die heutigen EU-Akteure das überhaupt wollen,  lautet  das  Gebot, nein, die Forderung der Stunde an die »liberale Mitte «:Wiederentdeckung des Politischen in Europa!

Text Quelle
Und die wichtigste, aber derzeit knappste Ressource dafür, die Neugier, der Optimismus, die Wut und die Energie des zoon politicon.

Angesichts der Skepsis auch der informiertesten Bürger, ob ihre Repräsentanten die Gestaltungsmacht über die Form der zukünftigen Technik und Lebenswelt gegen die global agierenden privatwirtschaftlichen Konzerne, Kartelle und Finanzoligarchien zurückgewinnen können; angesichts des anschwellenden, dumpfen Zweifels, ob sie das überhaupt noch wollen; angesichts der grassierenden Furcht vor einem technischen Totalitarismus und angesichts der hartnäckigen Furcht vor Konsumbeschränkung in den reichen Ländern ist die wichtigste Arbeit im Anthropozän die Instandbesetzung der erodierenden  demokratischen Institutionen auf allen Ebenen.

Quelle

Mathias Greffrath, Die Arbeit im Anthropozän, Eine knappe Weltgeschichte der Arbeit in praktischer Absicht, 01.05.2021

https://www.deutschlandf unk.de/die-arbeit-im- anthropozaen-eine- knappe-weltgeschichte- der-100.html

An den beiden Stellen im Buch fehlt ein Hinweis auf den Beitrag von Greffrath in Gänze. Ein solcher erfolgt erst an anderer Stelle bzgl. S. 234 ff. in den Endnoten Teil II, Nr. 165 (siehe unten, Textstelle Nr. 8).

Kommentar (Soiland/Elmer)
Hier übernimmt die Autorin in zwei Sätzen fast vollständig je einen Teilsatz aus Greffraths Vortrag wörtlich, ohne Zeichensetzung und Quellenangabe. Diese Anleihen wurden von der Autorin öffentlich entschuldigt, siehe Anmerkung in unserer Einleitung oben.

Nr. 5

Seite
213

Text
Die Beherrschung der Weltmeere, die Eroberung von Kolonien, die Jagd nach Rohstoffen und neuen Märkten, der Sklavenhandel oder die Einspeisung geraubten Goldes und Silber aus überseeischen Gebieten in den heimischen Wirtschaftskreislauf bildeten damals wie heute die Kehrseite des doux commerce.

Text Quelle
Die Beherrschung der Weltmeere, die Eroberung von Kolonien, Rohstoffen und neuen Märkten, die Beteiligung am Übersee- und insbesondere am Sklavenhandel, die Einspeisung der geraubten Gold-, Silber- und anderen Schätze aus den überseeischen Gebieten in den Wirtschaftskreislauf bildeten seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert dann auch für die neu aufstrebenden Mächte - so vor allem für die Niederlande, England und Frankreich - unverzichtbare Fundamente der Entwicklung.

Quelle

Olaf Asbach, Die Globalisierung Europas und die Konflikte der Moderne Dynamiken und Widersprüche in der Theorie und Praxis der internationalen Beziehungen in der frühen Neuzeit, in: Sven Externbrink (Hrsg.), Der Siebenjährige Krieg (17561763), Ein europäischer Weltkrieg im Zeitalter der Aufklärung, S. 27 ff. (36)

Volltext unter: https://doi.org/10.1524/9783050086392

Kommentar (Soiland/Elmer)
Hier handelt es sich um einen Satz, in welchem einzelne Wortgruppen identisch sind mit Wortgruppen aus einem Satz bei Olaf Asbach. Da es sich um Aussagen handelt, die in ihrer Allgemeinheit so oder ähnlich schon oft formuliert worden sind, erscheint uns der Vorwurf eines Plagiates etwas weit hergeholt. Aus unserer Sicht ist nicht einmal klar, dass die Autorin sich hier tatsächlich auf Asbach stützt.

Nr. 6

Seite
214

215

215f.

Text
Wie Pierre Rosanvallon formuliert, läuft diese Sichtweise eher auf eine Art »utopischen Kapitalismus« hinaus, geprägt von einem scheinbar unerschütterlichen Glauben an die Utopie eines Marktes, der kein  rein ökonomisches Modell ist, sondern ein zentraler Vermittlungsmechanismus für alle politischen und gesellschaftlichen Prozesse auf innerstaatlicher und transnationaler Ebene.

Und nur wenige Denker – Rousseau oder Fichte –haben sich erlaubt, explizit die Frage zu stellen, inwieweit ein  auf der Ungleichheit gesellschaftlicher Eigentums- und Herrschaftsverhältnisse beruhender Staat die Freiheit und Gleichheit seiner Bürger zentrale republikanische Maximen – überhaupt gewährleisten kann.

Im Gegenteil, die Kritik am Verlust politischer Tugenden, an der durch Reichtum und Luxus beförderten Korruption der Sitten und an ausschließlich auf Marktmechanismen beruhenden Vergesellschaftungsprozessen in commercial societies ist ein Topos des klassischen wie modernen Republikanismus.

Text Quelle
Diese Sichtweise läuft somit, wie Pierre Rosanvallon es formuliert hat, gleichsam auf die Apologie eines „utopischen Kapitalismus“ hinaus, der in der Utopie eines Marktes gründet, der kein rein  ökonomisches Modell ist, sondern der zentrale Vermittlungsmechanismus für alle politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen auf nationalstaatlicher wie auf inter-  und transnationaler Ebene. (S. 21 f.)

Zwar stellten nur wenige explizit die grundsätzliche Frage, inwieweit ein auf der Ungleichheit  gesellschaftlicher Eigentums- und Machtverhältnisse beruhender Staat die Freiheit und Gleichheit der Bürger überhaupt garantieren kann. (S. 31)

Die Kritik am Verlust politischer Tugend und an der durch Reichtum und Luxus beförderten Korruption der Sitten, ein Topos im klassischen Republikanismus, wurde in unterschiedlichen Varianten selbst von denen geübt, die die Vorteile der commercial society priesen.(S. 30)

Quelle

Olaf Asbach (Hrsg.), Der moderne Staat und »le doux commerce«. Politik, Ökonomie und internationale Beziehungen im politischen Denken der Aufklärung, Nomos, Baden Baden 2014.

Volltext unter: https://doi.org/10.5771/9 783845244051_1

Siehe hierzu die Hinweise der Autorin in den Endnoten, Teil II, Nr. 115, 120, 121, 123 sowie insb. Nr. 112: „Ich schulde die Passagen und Literaturhinweise zum doux commerce ganz wesentlich dem großartigen Buch von Olaf Asbach (Hrsg.), Der moderne Staat und »le doux commerce«. Politik, Ökonomie und internationale Beziehungen im politischen Denken der Aufklärung, Nomos, Baden Baden 2014, von dem man nur hoffen kann, dass es zum Standardwerk an Universitäten wird, damit die nächste Generation Studierende die wirtschaftliche Neuorientierung Europas vorantreiben kann.“

Auch das stellt keine den Zitierregeln entsprechende, weil viel zu pauschale und ungenaue Bezugnahme dar.

Kommentar (Soiland/Elmer)
Die Autorin referiert auf den beiden beanstandeten Seiten ausführlich Olaf Asbachs Ausführungen zum doux commerce und nennt Asbach in vier Anmerkungen. Zwei Seite davor würdigt sie in einer Anmerkung Asbach ausführlich und betont, dass sie seinen Überlegungen viel schuldet. Die vom Kommentator bemängelte Zitierweise ist der Textform des Essays geschuldet und durchaus legitim (im Vorwort charakterisiert die Autorin ihr Buch als „mein persönliches Wutbuch“).
Der Vorwurf des Plagiates ist irreführend. Es kann sein, dass ein Plagiatsprogramm diese Stellen ausspuckt, für einen wissenschaftlichen Kommentar würden wir aber erwarten, dass der inhaltliche Kontext der ganzen Passage mitberücksichtig wird, ohne den eine sinnvolle Aussage über ein mögliches Plagiat nicht gemacht werden kann.

Nr. 7

Seite
234 - 238

Text
Der Begriff des Anthropozän resümiert, was wir spätestens seit einem halben Jahrhundert wissen: Nahezu die irdische Natur als Ganzes ist bereits zum ökonomischen Nutzfeld des Menschen geworden.

Einstweilen produziert der kapitalgetriebene Automatismus noch Überfluss, aber auch immer mehr Menschen ohne Arbeit und Einkommen. Im Norden werden sie durchgefüttert. Aus ausgebluteten und vom Klimawandel erodierten Südregionen hat die große Elendswanderung begonnen. Eine immer kleinere Minderheit besitzt  und gestaltet die politischen administrativen und technischen Apparate. Homo sapiens scheint am Ende seiner Laufbahn, gefangen in den stählernen Netzen eines scheinbar undurchbrechlichen technoökonomischen Prozesses, und steuert auf den ökologischen Kollaps hin.

Die Wohlstandsmaschine Kapitalismus hat sich von ihrem Territorium, dem Nationalstaat, emanzipiert und sich die ganze Erde untertan gemacht. Über die politische Weltkarte von Nationen haben sich die Netze eines postmodernen Turbofeudalismus gelegt. Es ist ein Feudalismus, dessen Herren nicht greifbar sind.

In den neuen Industrierevieren der ehemaligen Kolonien herrschen Arbeitsbedingungen wie im Frühkapitalismus; in den alten Metropolen wird die Arbeit bis zur Unerträglichkeit verdichtet.

Bei den Elenden, den Ausgegrenzten, den Nutznießern, aber auch bei den Theoretikern wachsen Ratlosigkeit und Fatalismus. Und die Gewaltbereitschaft wächst, die der Elenden und die derjenigen, die ihren Wohlstand bedroht sehen. Etwas in uns wehrt sich gegen die Alternativlosigkeit, die Ausweglosigkeit, dagegen, dieser Wachstumsfalle angeblich nicht entkommen zu können.

Gegen eine Beschränkung dieses Wachstums aber stehen seine beiden mächtigen Treiber: der Wachstumszwang des Kapitals und die ungleiche Verteilung von Wohlstand und Lebenschancen.

Wir haben jede Menge Probleme, die das Leben aller Menschen betreffen, aber die Menschheit ist kein handlungsfähiges   Subjekt. ‚Wer Menschheit sagt, will betrügen‘, so formulierte es der konservative Staatsrechtler Carl Schmitt.

Die Nation ist vom Gefäß der Gesellschaft zum lokalen Standort globaler Konkurrenzkämpfe mutiert; das Parlament vom Ort, an dem Bürger beschließen, wie sie leben wollen, zum Notariat für die Investorenimperative. Städte, Regionen, Fabriken wurden zu Transiträumen, belebt oder entwohnt nach der Logik des Kapitals. Familien sind Orte, an denen ‚Humankapital‘ aufgezogen und Kaufkraft generiert wird. Solche Worte entstammen nicht linksradikaler Denke, sondern dem Mund von Friedrich Merz, der einst Ambitionen hatte, für die CDU Bundeskanzler zu werden: »Die Kinder von heute sind die Mitarbeiter von morgen und die Kunden von übermorgen. Die schönste Eigenschaft des Menschen – seine Fähigkeit zu  spielen, zu musizieren, Geschichten zu erzählen oder erzählt zu bekommen (sic!) ist zum Geschäftsfeld gigantischer Kapitalien geworden, die die Arenen des Kommerzsports und die Netze der Unterhaltungsindustrie betreiben.«

Im 21. Jahrhundert wälzen nun Informationstechnologie und Internet die Arbeitswelt erneut um. Nicht nur der Hilfsarbeiter im Lager, nicht nur die Kassiererin im Supermarkt werden ersetzbar, sondern auch das Können von Ingenieuren, Architekten und Anwälten ist nun in den Algorithmen der Software gespeichert und abrufbar. Computer stellen medizinische Diagnosen oder organisieren komplexe logistische Abläufe, Algorithmen ersetzen das Ermessen von Verwaltungsangestellten. Was derzeit mit dem Schlagwort Industrie 4.0 oder ‚Internet der Dinge' bezeichnet wird, signalisiert den vorläufigen Endpunkt dieser Entwicklung. Werkstücke, die ihren Weg durch die Produktionsabläufe selbsttätig digital steuern; Verteilungsnetze, die vom voll automatisierten Lager über selbstlenkende Automobile bis zum Supermarkt fast ohne Menschen auskommen; Sensortechnologien, die Störungen erkennen und selbstständig beheben; smarte Häuser, die ihre Temperatur  regeln; Kühlschränke, die melden, dass die Milch zur Neige geht und eine Bestellung aufgeben, die von Drohnen ausgeliefert wird; GPS-Systeme, die automatisierte Landwirtschaftsmaschinen über die quadratkilometergroßen Felder der Monokulturen steuern; Algorithmen der amerikanischen Datensammelfirmen, die schon heute wissen, was mich morgen interessiert.

Prognosen zufolge könnten in den nächsten Jahrzehnten 50 Prozent der Arbeitsplätze durch das Vordringen der sogenannten künstlichen Intelligenz wegrationalisiert werden.

Oder gilt Hannah Arendts knappes Resümee: »Wenn der Arbeitsgesellschaft die Arbeit ausgeht, entwickeln wir uns zurück. In eine Tiergattung.«

Algorithmen und Computernetzwerke können Menschen kontrollieren, destruktive Bedürfnisse wecken, Wachstum hochpeitschen, Drohnen lenken, jedes Jahr neue Generationen virtueller Welten und Spaßmaschinen entwerfen und vertreiben, Menschen  zum  passiven Gleitmittel einer amoklaufenden Wirtschaft degradieren. Aber Algorithmen und Computer können auch von harter, routinierter, geistloser Arbeit befreien, sie können die Umstellung von Energiezentralen auf dezentrale vernetzte Einrichtungen regeln, sie können öffentliche Verkehrsmittel attraktiv machen, die Systeme der Steuererhebung gerechter, transparenter und effizienter machen, das Wissen der wirklichen Welt allen zugänglich machen.

Wie wir mit dem BIP in Zukunft in Europa umgehen wollen, ist darum auch eine interessante Denkaufgabe. Nicht Fortschritt, Technik und Wachstum sind also per se schlecht, sondern die Motive, die sie antreiben. Die Arbeit von Menschen hat Technik und Fortschritt über die Jahrhunderte ins Werk gesetzt, aber die Kapitalmächte, das Militär und der Krieg bestimmen bis heute die Richtung, den Einsatz und das Tempo dieser Veränderungen. Nicht die Technik hat die Grundlagen der Zivilisationen geformt – die Erde, die arbeitenden Menschen und die Institutionen –, sondern die Art ihrer Anwendung, nicht die Produktivkräfte, sondern die Produktionsweise.

Text Quelle
Anthropozän – das heißt: Zeitalter des Menschen, und Paul Crutzens Zwischenruf ist alles andere als beruhigend. Er resümiert, was wir spätestens seit einem halben Jahrhundert wissen: Die irdische Natur als Ganze ist zum Produkt der Menschen geworden.

Einstweilen produziert der kapitalgetriebene Automatismus noch Überfluss, aber auch immer mehr Menschen ohne Arbeit und Einkommen. Im Norden werden sie durchgefüttert, aus ausgebluteten Südregionen hat die große Elendswanderung begonnen. Eine immer kleinere Minderheit  besitzt und gestaltet die politischen, administrativen und technischen Apparate. Homo sapiens scheint am Ende seiner Laufbahn, gefangen in den stählernen Netzen eines techno-ökonomischen Prozesses. Steuert der auf den ökologischen Kollaps hin?

Die Wohlstandsmaschine Kapitalismus hat sich von ihrem Territorium, dem Nationalstaat, emanzipiert. Über die politische Weltkarte von Nationen haben sich die Netze einer Art Turbofeudalismus gelegt. Es ist ein Feudalismus, dessen Herren nicht greifbar sind.

In den neuen Industrierevieren der ehemaligen Kolonien herrschen Arbeitsbedingungen wie im Frühkapitalismus; in den alten Metropolen wird die Arbeit bis zur Unerträglichkeit verdichtet.

Bei den Elenden, den Ausgegrenzten,  den Nutznießern, aber auch bei den Theoretikern wachsen Ratlosigkeit und Fatalismus. Und die Gewaltbereitschaft wächst, die der Elenden und die derjenigen, die ihren Wohlstand bedroht fühlen (sic!). Etwas in uns wehrt sich gegen die Alternativlosigkeit – aber worauf, auf welche Arbeit  kann dieses Gefühl noch setzen.

Gegen eine Beschränkung dieses Wachstums aber stehen seine beiden mächtigen Treiber: der Wachstumszwang des Kapitals – und die ungleiche Verteilung von Wohlstand und Lebenschancen.

Wir haben jede Menge Probleme, die das Leben aller Menschen betreffen, aber die Menschheit ist kein handlungsfähiges   Subjekt. ‚Wer Menschheit sagt, will betrügen‘, so formulierte es der konservative Staatsrechtler Carl Schmitt.

Die Nation wird vom Gefäß der Gesellschaft zum Standort globaler Konkurrenzkämpfe; das Parlament vom Ort, an dem Bürger beschließen, wie sie leben wollen, zum Notariat    für         die Investorenimperative; Städte, Regionen, Fabriken werden zu Transit-Räumen, belebt oder entwohnt nach der Logik des Kapitals, die Familien zum Ort, an dem „Humankapital“ aufgezogen und Kaufkraft generiert wird – einst unübertroffen formuliert vom christlichen Demokraten Friedrich Merz: Die Kinder von heute sind die Mitarbeiter von morgen und die Kunden von übermorgen. Die schönste Eigenschaft des Menschen – seine Fähigkeit zu spielen, zu musizieren, Geschichten zu erzählen oder erzählt zu bekommen – ist zum Geschäftsfeld gigantischer Kapitalien geworden, die die Arenen des Kommerzsports und die Netze der Unterhaltungsindustrie betreiben.

Und nun, im 21. Jahrhundert, wälzen Informationstechnologie und Internet die Arbeitswelt erneut um. Nicht nur der Hilfsarbeiter im Lager, nicht nur  die Kassiererin im Supermarkt werden ersetzbar, sondern auch das Können von Ingenieuren, Architekten und Anwälten ist nun in den Algorithmen der Software   gespeichert und abrufbar. Computer stellen medizinische Diagnosen oder organisieren komplexe logistische Abläufe, Algorithmen ersetzen das Ermessen von Verwaltungsangestellten. Was derzeit mit dem Schlagwort Industrie 4.0 oder ‚Internet der Dinge‘ bezeichnet wird, signalisiert den Endpunkt dieser Entwicklung. Werkstücke, die ihren  Weg durch die Produktionsabläufe  selbsttätig digital steuern; Verteilungsnetze, die vom voll automatisierten Lager über selbstlenkende Automobile bis zum Supermarkt fast ohne Menschen auskommen; Sensorentechnologien, die Störungen erkennen und selbstständig beheben, smarte Häuser, die ihre Temperatur regeln, Kühlschränke, die melden, dass die Milch zur Neige geht und eine Bestellung aufgeben, die von Drohnen ausgeliefert wird; GPS- Systeme, die nicht nur die automatisierten Landwirtschaftsmaschinen über die quadratkilometergroßen Felder der Monokulturen steuern, die mir nicht nur den Weg weisen, sondern auch schnarren, wenn mich ein auf meine Vorlieben passendes Schnäppchen an der nächsten Ecke erfreuen könnte; die Algorithmen von Facebook, google, amazon und anderen, die schon heute wissen, was mich morgen interessiert; (…).

Es gibt keine zuverlässigen Prognosen über das Ausmaß an Arbeitslosigkeit, das daraus folgen wird. Für die USA und für Deutschland gibt es Schätzungen, dass in den nächsten Jahrzehnten 50 Prozent der Arbeitsplätze durch das Vordringen der sogenannten künstlichen Intelligenz wegrationalisiert werden könnten.

(…) Und Arendts knappes Résumé: „Wenn der Arbeitsgesellschaft die Arbeit ausgeht, entwickeln wir uns zurück. In eine Tiergattung.“

Algorithmen und Computernetzwerke können Menschen kontrollieren, destruktive Bedürfnisse wecken,  Wachstum hochpeitschen, Drohnen lenken,  jedes  Jahr  neue Generationen  virtueller Welten und Spaßmaschinen entwerfen und vertreiben, Menschen zum passiven Gleitmittel einer amoklaufenden Wirtschaft degradieren. Aber Algorithmen und Computer können auch von harter, routinierter, geistloser Arbeit befreien, sie können die Umstellung von Energiezentralen auf dezentrale vernetzte Einrichtungen regeln, sie können öffentliche Verkehrsmittel attraktiv machen, die Systeme der Steuererhebung gerechter transparenter und effizienter machen, das Wissen der wirklichen Welt allen zugänglich machen – und so Zeit gewinnen für die Arbeit am Anthropozän.

Viel spräche also dafür, nicht Anthropozän zu sagen, sondern: Kapitalozän – wenn das Wort nicht ein noch größeres Ungetüm wäre. Denn nicht ‚der Mensch‘ und auch nicht ‚die Menschen‘ haben die Oberfläche der Welt, die sozialen Beziehungen und das Begehren der Menschen umgeformt. Die Arbeit von Menschen hat sie ins Werk gesetzt, aber die Kapitalmächte bestimmen bis heute die Richtung und das Tempo dieser Veränderungen. Nicht die Technik hat die Grundlagen der Zivilisationen- die Erde, die arbeitenden Menschen und die Institutionen geformt, sondern die Art ihrer Anwendung, nicht   die Produktivkräfte, sondern die Produktionsweise.

Quelle

Mathias Greffrath, Die Arbeit im Anthropozän, Eine knappe Weltgeschichte der Arbeit in praktischer Absicht

https://www.deutschlandf unk.de/die-arbeit-im- anthropozaen-eine- knappe-weltgeschichte- der-100.html

Siehe hierzu den Hinweis in den Endnoten Teil II, Nr. 165:

„Auf den folgenden drei Seiten (S. 193 - 196) habe ich große und teilweise über mehrere Sätze wörtliche Anleihen genommen aus dem brillanten   Essay von Mathias Greffrath, Die Arbeit im Anthropozän, Essay & Diskurs, Deutschlandfunk, 3.1. 2016, die nicht im Einzelnen markiert sind, da ich sie jeweils geringfügig modifizier oder anders in meinem eigenen Text zusammengestellt habe. Ich danke dem Autor Martin Greffrath und hoffe, er entschuldigt diese Form der nicht akkuraten wissenschaftlichen Wiedergabe und hoffe gleichzeitig, durch die Verwendung dieser so großartigen Textbausteine viele Leser anzuregen, sich diesen vorzüglichen Essay im Podcast des DLF anzuhören:

http://www.deutschlandfu nk.de/die-arbeit-im- anthropozaen-eine- knappeweltgeschichteder.1184.de.html?dram:article_id=337835“

Hier räumt die Betroffene selbst ein, dass eine „nicht akkurate wissenschaftliche Wiedergabe“ vorliegt.

Kommentar (Soiland/Elmer)
In der Anmerkung 165 räumt die Autorin ein, „große und teilweise über mehrere Sätze wörtliche Anleihen“ bei Greffrath zu tätigen. Man kann dies als wenig korrekte wissenschaftlich Arbeitsweise bemängeln, um ein Plagiat, wie es die rote Markierung nahelegt, handelt es sich aber nicht, da die Quelle klar benannt ist. Auch hier ist zudem in die Waagschale zu legen, dass diese Angabe für die Textform eines Essays genügt. Zudem hat die Autorin diese Anleihen auch öffentlich kundgetan, siehe Anmerkung in unserer Einleitung oben.

Nr. 8

Seite
262 - 270

Text
Noch bis ins 16. Jahrhundert hinein wird Europa als Frau und gekrönte Herrscherin mit der Weltkugel in der Hand dargestellt.

Damals wie heute gilt die Frage der revolutionären Olympe de Gouges: »Mann, kannst du gerecht sein?« Denn eigentlich haben Frauen im Namen der Freiheit, der Gleichheit und der Brüder-/ Schwesterlichkeit die Französische Revolution in Gang gesetzt. Der von Frauen angeführte Marsch nach Versailles am 5./6. Oktober 1789 bildete den Auftakt für den Kampf des Volkes um Brot und eine gerechte Verfassung. Frauen bildeten nicht nur die Vorhut der Revolution. Sie haben auch dem neuen, demokratischen Gesellschaftsideal eine geschlechterdemokratische, theoretische Grundlage gegeben.  Die Bilder  vom Marsch der Weiber nach Paris zeigen eine Frau hoch zu Ross, die den Zug der Frauen nach Versailles anführt. In der Ikonographie der Französischen Revolution wird an das Bild der Amazone als Verkörperung der  Freiheit angeknüpft.

Die Worte der Olympe de Gouges sind noch aktuell: Das »an Schönheit wie Mut im Ertragen der Mutterschaft überlegene Geschlecht« erhebt die Forderung auf »Gleichheit mit dem Mann in allen Rechten« im Sinne des Artikels 1 der Erklärung der Menschenrechte: »Die Frau ist frei geboren und bleibt dem Manne gleich in allen Rechten.«

Text Quelle
Noch bis ins 16. Jahrhundert wird Europa als Frau und gekrönte Herrscherin mit der Weltkugel in der Hand dargestellt. (S. 196)

Auf die Frage der Olympe de Gouges: „Mann kannst Du gerecht sein? Eine Frau stellt Dir diese Frage.“ suchten sie in diesen fünf Jahren vergeblich nach einer positiven Antwort. Frauen haben im Namen der Freiheit, der Gleichheit und der Brüderlichkeit und der Schwesterlichkeit die Französische     Revolution  in Gang gesetzt. Der von Frauen angeführte Marsch nach Versailles am 5./6. Oktober 1789 bildete den Auftakt für den Kampf des Volkes um Brot und eine gerechte Verfassung. Frauen bildeten nicht nur die Vorhut der Revolution. Sie haben auch dem neuen, demokratischen Gesellschaftsideal eine geschlechterdemokratische, theoretische Grundlage gegeben. (…) Die Bilder von dem Marsch der Weiber nach Paris zeigen eine Frau hoch zu Ross, die den Zug der Frauen nach Versailles anführt. In der Ikonographie der französischen Revolution wird an das Bild der Amazone als Verkörperung der Freiheit angeknüpft. (S. 197 f.)

Die Worte der Olympe de Gouges sind noch aktuell: Das „an Schönheit wie Mut  im Ertragen der Mutterschaft überlegene Geschlecht“ erhebt  die  Forderung  auf „Gleichheit mit dem Mann in allen Rechten“ im Sinne des Artikels 1 ihrer Erklärung der Menschenrechte: „Die Frau ist frei geboren und bleibt dem Manne gleich in allen Rechten. Die sozialen Unterschiede können nur im allgemeinen  Nutzen sein.“ (S. 198)

Quelle

Annette Kuhn, Warum sitzt Europa auf dem Stier? Matriarchale Grundlagen von Europa, in: Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): Frauen verändern EUROPA verändert Frauen, Düsseldorf 2008, S. 191-200

Siehe den Hinweis auf Kuhn auf S. 268, der wiederum von Wikipedia übernommen ist (siehe unten, Textstelle 10): „Die Historikerin Annette Kuhn hält (…).“

Siehe ferner den dortigen (S. 268) Verweis in die Endnoten, Teil III, Nr. 17:

„Annette Kuhn, Warum sitzt Europa auf dem Stier? Matriarchale Grundlagen von Europa., in: Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes NRW: Frauen verändern EUROPA verändert Frauen. 2009, http://www.annette-kuhn- stiftung.de/pdf/Europa- Handbuch-08_Kuhn.pdf

Kommentar (Soiland/Elmer)
Der Satz auf S. 262 findet sich auf Wikipedia. Dazu fehlt die Quellenangabe. Die hier rot markierte Passage von S. 270, findet sich jedoch auch im PDF von Annette Kuhn wie in der Endnote 17, S. 354 angegeben. Was beanstandet wird, ist nicht klar. Suggeriert wird jedoch, dass alles aus Wikipedia übernommen sei, was nicht der Fall ist. Korrekterweise müsste die Passage in Anführungs- und Schlusszeichen stehen, da wörtlich und die Quellenangabe an dieser Stelle sollte wiederholt werden. Um ein Plagiat handelt es sich aber nicht.

Nr. 9

Seite
268

Text
Die Historikerin Annette Kuhn hält dem durch die Ovid-Überlieferung patriarchal geprägten Mythos eine alternative Sichtweise entgegen, die das frühe Matriarchat einbezieht. So sieht sie das Matriarchat am Werke, als die  Mutter Europas, Telephassa, über Zeus eine Strafe  für sein Verhalten verhängt, und zwar die Verweigerung der Liebe Europas und das Sterben der Natur. Sie interpretiert den Mythos dahingehend, dass Zeus sich der Europa überhaupt nur in Verkleidung nähern konnte. Liebe, so lautet die einfache Botschaft, kann nicht erzwungen werden.

Text Quelle
Die Historikerin Annette Kuhn hält dem durch die Ovid- Überlieferung patriarchal geprägten Mythos eine alternative Lesart entgegen, die das frühe Matriarchat einbezieht. So sieht sie das Matriarchat am Wirken, als die Mutter Europas, Telephassa, über Zeus eine Strafe für sein liebestolles Verhalten gegenüber Europa verhängt, und zwar die Verweigerung der Liebe Europas und das Sterben der Natur. Sie interpretiert den Mythos dahingehend, dass Zeus überhaupt erst in der „Verkleidung“ als Stier, welcher als ein Symbol für matriarchalische Ordnung fungierte – hervorgegangen aus dem damals noch weit verbreiteten mythologischen Symbol der „kosmischen Kuh“ –, sich Europa annähern konnte. Liebe, so lautet die einfache Botschaft, kann nicht erzwungen werden.

Quelle

Wikipedia, Europa (Tochter des Agenor), Version vom 18.3.2016

https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Europa_(Tochter_des_Agenor)&oldid=152614212

Kommentar (Soiland/Elmer)
Diese Passage entspricht teilweise dem Wikipedia-Eintrag. Die Wikipedia-Quelle ist nicht angegeben. Einzelne Sätze stimmen jedoch mit der Originalquelle, dem PDF von Annette Kuhn, auf die die Autorin verweist, überein.

https://www.fernuni-hagen.de/rechtundgender/downloads/europa_handbuch.pdf.

Ob die Passage ausschließlich Wikipedia entnommen ist oder nicht, kann nicht beurteilt werden.

Nr. 10

Seite
271

Text
Die phrygische Mütze war ursprünglich ein gegerbter Stierhodensack samt der umliegenden Fellpartie. Nach der Vorstellung der Griechen sollten durch ein solches Kleidungsstück die besonderen Fähigkeiten des Tieres  auf  seine  Trägerin übergehen.

Text Quelle
Die phrygische Mütze war ursprünglich ein gegerbter Stier-Hodensack samt der umliegenden Fellpartie. Nach der Vorstellung der Griechen sollte ein solches Kleidungsstück die besonderen Fähigkeiten des Tieres  auf  seinen  Träger übertragen.

Quelle

Wikipedia, Phrygische Mütze, Version vom 29.07.2015

https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Phrygische_M%C3%BCtze&oldid=144510930

Kommentar (Soiland/Elmer)
Dieser Passage von zwei Sätzen wurde ohne Quellenangabe von Wikipedia übernommen.

Nr. 11

Seite
213

Text
Die Beherrschung der Weltmeere, die Eroberung von Kolonien, die Jagd nach Rohstoffen und neuen Märkten, der Sklavenhandel oder die Einspeisung geraubten Goldes und Silber aus überseeischen Gebieten in den heimischen Wirtschaftskreislauf bildeten damals wie heute die Kehrseite des doux commerce.

Text Quelle
Die Beherrschung der Weltmeere, die Eroberung von Kolonien, Rohstoffen und neuen Märkten, die Beteiligung am Übersee- und insbesondere am Sklavenhandel, die Einspeisung der geraubten Gold-, Silber- und anderen Schätze aus den überseeischen Gebieten in den Wirtschaftskreislauf bildeten seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert dann auch für die neu aufstrebenden Mächte - so vor allem für die Niederlande, England und Frankreich - unverzichtbare Fundamente der Entwicklung

Quelle

Olaf Asbach, Die Globalisierung Europas und die Konflikte der Moderne – Dynamiken und Widersprüche in der Theorie und Praxis der internationalen Beziehungen in der Frühen Neuzeit, in: Sven Externbrink (Hrsg.), Der Siebenjährige Krieg (1756-1763, Ada-demie-Verlag Berlin, 2011, S. 27 (36)

Kommentar (Soiland/Elmer)
Diese Anmerkung ist identisch mit der Bemängelung Nr. 5, siehe dort. Hier ist dem Kommentator ein Fehler unterlaufen.

Der neue Bürgerkrieg.

Das offene Europa und seine Feinde (2017)

Nr. 1

Seite
27 f

Text
Dahinter verbirgt sich das Gefühl, dass es auf einen nicht ankommt, dass das eigene Selbst jederzeit und überall durch ein anderes ersetzt werden kann

  • Verweis, aber kein korrektes, vollständiges Zitat

Text Quelle
Damit ist das Gefühl gemeint, „daß es auf einen selbst nicht ankommt, daß das eigene Selbst jederzeit und überall durch ein anderes ersetzt werden kann“ (EU: 471)

Quelle

Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Frankfurt am Main 1958, S.471.

Kommentar (Soiland/Elmer)
Hier wird bemängelt, dass es sich nicht um ein vollständiges Zitat handelt. Es ist aber erlaubt, etwas dem Sinn nach ohne den Anspruch des Wortwörtlichen wiederzugeben, womit es auch keine Anführungszeichen braucht. Die Autorin verweist korrekt auf Hanna Arendt. Der Vorwurf es Plagiats ist gegenstandslos.

Nr. 2

Seite
63 f

Text
Das klingt verblüffend aktuell. Im Nationalstaat, so Arendt, habe die nationale Zugehörigkeit Vorrang vor der Demokratie- das mussten wir in der europäischen Geschichte des Öfteren schmerzlich erfahren. Die im Gefolge der Französischen Revolution geformten Nationalstaaten haben sich in mehreren eruptiven Bewegungen im 19. und 20. Jahrhundert blutig gegeneinandergestellt. Sind wir wirklich gefeit davor, dass dies unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts nicht wieder passiert? Der Nationalismus in seiner Borniertheit und der Nationalstaat in seiner wesensmäßigen Unfähigkeit, die eigenen Grenzen legitim zu transzendieren, bildeten die denkbar schlechtesten Voraussetzungen, um dauerhaft Kriege und Konflikte zu vermeiden.

Nicht der Nationalstaat, aber der Handel transzendiert die Grenzen, und das nicht immer zum Nutzen derer, die ihre Märkte öffnen müssen, siehe EU. Dieses Spannungsverhältnis kann nur über ein politisches und föderales Europa aufgehoben werden.

  • Verweis am Anfang aber es wird nicht klar, dass alles von Arendt stammt, Heuer wird nur im Literaturverzeichnis erwähnt und die wörtliche Übernahme nicht markiert

Text Quelle
Zweitens hat im Nationalstaat die nationale Zugehörigkeit Vorrang vor der Demokratie, denn die Nation hat den Staat erobert. Dabei können selbst unter Diktaturen durchaus bürgerliche Grundrechte wie Interessenrepräsentation und Pressefreiheit gewährt werden, nicht aber „das Recht der politischen, direkten Mitbestimmung“.

Der Nationalismus in seiner egozentrischen Borniertheit und der Nationalstaat in seiner wesensmäßigen Unfähigkeit, die eigenen Grenzen legitim zu transzendieren, dürften dafür die denkbar schlechtesten Voraussetzungen bilden.

Quelle

Hannah, Arendt 2006a, Band 2, Ausgabe 1, (www.hannaharendt.net)

Zitiert nach Wolfgang Heuer, Föderationen - Hannah Arendts politische Grammatik des Gründens, abrufbar unter:

http://www.ha- bib.de/debatte/texte/Heuer,Foederationen%202.Aufl.pdf,
S. 19 f.

Kommentar (Soiland/Elmer)
Hier bemängelt der Kommentator, die Autorin habe Hanna Arendt aus einem Text von Wolfgang Heuer zitiert. Wie er dazu kommt, bleibt unklar. Die erste rot markierte Passage ist eine indirekte Rede. Die Autorin gibt diese Passage als Aussage Arendts wieder, tatsächlich ohne Angabe eines Titels. Das ist zwar ungenau, kann aber gleichwohl nicht als Plagiat gewertet werden, da Arendt als Urheberin genannt wird. Die zweite rot markierte Passage stammt aus einem Einleitungsreferat, das Arendt für eine Radiodiskussion von 1963 verfasst hat und das in der Zeitschrift Hanna Arendt. Zeitschrift für politisches Denken unter dem Titel Nationalstaat und Demokratie ( in der Ausgabe 1, Band 2 – September 2006, abrufbar unter
https://www.hannaharendt.net/index.php/han/article/view/94/154) erstmals veröffentlicht wurde. Die Hinweise des Kommentators sind verwirrend und geben diesen Sachverhalt nicht wieder.

Nr. 3

Seite
44 f

Text
Auch damals waren sich Links- und Rechtsextreme einig in der Ablehnung des Bestehenden und verfolgten radikale gesellschaftliche Neuentwürfe.

In den ‚zerrissenen Jahren‘ (Philipp Blom) zwischen 1919 und 1938 rangen die unreifen Demokratien um ihre gesellschaftliche Verfasstheit in bürgerkriegsähnlichen Zuständen und kämpften gegen die verkrusteten Strukturen der politischen Systeme, durchaus ähnlich zu heute. Wo der Völkerbund versagte und der Weg nach Europa versperrt blieb, lockte der Weg in den Faschismus. Die tiefe Krise des Liberalismus, spätestens ausgelöst durch den Börsenkrach von 1929, machte die totalitären Gegenentwürfe von links wie rechts plausibel und zog die noch fragilen Demokratien in den Abgrund. Faschismus und Nationalsozialismus auf der einen, Kommunismus auf der anderen Seite waren die konkurrierenden Kräfte, die um die Zukunft des europäischen Kontinents stritten, beschrieben in Ernst Noltes 1987 erschienenem, heftig umstrittenem Buch Der europäische Bürgerkrieg. Dass der Liberalismus dann nach dem Zweiten Weltkrieg in Westeuropa wieder dominant werden konnte, ist eine Reaktion auf das Scheitern der Totalitarismen und auf ihre Gräueltaten, die sie völlig desavouierten.

Text Quelle
Links – und Rechtsextreme waren sich einig in der Ablehnung von Bürgerlichkeit und Tradition, sie waren beide Anhänger eines radikalen Neuentwurfs.

Es war der Kampf um die Vorherrschaft in Europa, der Kommunismus und Faschismus zu Todfeinden machte, nicht etwa dass der Kommunismus als Bedrohung des Abendlandes auf die Verteidiger der Kultur, die Faschisten trafen. Die ideologische Frontstellung in Europa war nach 1918: Der Liberalismus hätte abgewirtschaftet, und der Faschismus (mit dem Sonderfall des Nationalsozialismus) und der Kommunismus sind die beiden konkurrierende Prinzipien, die um die Zukunft des Kontinentes streiten. Die dirigistischen Ansätze der ‚Kriegswirtschaft‘ 1914–1918 und die Krise des Kapitalismus ab 1929 waren beides Marksteine für eine tiefe Krise des Liberalismus, und beide Ereignisse machte die totalitären Gegenentwürfe von Links wie von Rechts plausibel. In Zeiten eines Massenstaates und der Massenkriege, in denen der Einzelne nichts bedeutete und die Toten in Millionen angegeben wurde, wirkte der Liberalismus nicht zeitgemäß, ja, wie Hohn. Dass der Liberalismus dann in Gestalt der westlichen Siegermächte in Westeuropa wieder dominant wurde, ist eine Reaktion auf das Scheitern der Totalitarismen und ihre Gräueltaten, die diese Konzepte völlig desavouierten.

Quelle

https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Europäischer_Bürgerkrieg&oldi d=157164120

  • Version 2016 (vor Erscheinungsdatum des Buches)

  • Auch bereits 2015 vorhanden

Kommentar (Soiland/Elmer)
Die hier gemachte Aussage, es handle sich um Plagiate aus einem Wikipedia-Eintrag, ist nicht überprüfbar, da die angegebene Web-Seite nicht mehr aufrufbar ist. Aber auch unabhängig davon zeigt ein Textvergleich, dass hier willkürlich unterstellt wird, es habe eine wörtliche Übernahme stattgefunden. Die von Guérot dargelegten Sachverhalte beziehen sich auf historische Gegebenheiten, die so oder anders formuliert auch anderswo zu finden sind. Zudem gib es kaum wörtlich identische Passagen, weshalb der Vorwurf des Plagiates an dieser Stelle aus unserer Sicht der Grundlage entbehrt.

Nr. 4

Seite
63 f

Text
Arendt ist der Anti-Hobbes, wenn man so will: Die Republik als Erbe der Französischen Revolution sei keine Übertragung von Herrschaft auf den (National-)Staat, sondern ein Vertrag unter Bürgern. Denn die Nation, das heißt das durch den Nationalstaat politisch emanzipierte Volk, habe stets eine verhängnisvolle Neigung gezeigt, seine Souveränität an Diktatoren und Führer aller Art abzugeben.

  • Zitiert,ohne es kenntlich zu machen

Text Quelle
Die Nation, das heisst das durch den Nationalstaat politisch emanzipierte Volk, hat bereits sehr früh eine verhängnisvolle Neigung gezeigt, seine Souveränität an Diktatoren und Führer aller Arten abzutreten.“

Quelle

Hanna Arendt: Nationalstaat und Demokratie, 1963, abrufbar unter: https://www.hannaharendt.net/index.php/han/article/view/94/154

Kommentar (Soiland/Elmer)
Hier wird ein nicht ausgewiesenes Zitat bemängelt, das aus dem o.g. Referat Nationalstaat und Demokratie stammt. Die Autorin nennt jedoch Arendt und die Passage ist als indirekte Rede mittels Konjunktiv gekennzeichnet, was korrekt ist und die Kenntlichmachung eines Zitates in indirekter Rede darstellt. Allenfalls kann man bemängeln, dass die Autorin hier keinen Titel nennt. Der Vorwurf des Plagiates ist aber ungerechtfertigt.

Nr. 5

Seite
67

Text
In den Nationalstaaten,
so Rougemont, würden Vaterland, Staat, Nation und Sprache in eins gesetzt oder verwechselt. Dabei handele es sich um verschiedene Ebenen: Gefühle, Ideologie, Verwaltung und Kultur. [...] Eine föderale Struktur, so Rougemont, könne nicht auf ein einziges politisches Wesensmerkmal gegründet werden wie gemeinsame Geschichte, Geographie, Sprache, Tradition oder Wirtschaft, sondern nur auf ‚Räume der Teilhabe des Bürgers am öffentlichen Leben, die durch Trauben von Gemeinden gebildet werden‘)

Text Quelle
Darüber hinaus wies De Rougemont darauf hin, dass in den Nationalstaaten immer Vaterland, Staat, Nation und Sprache in Eins gesetzt oder verwechselt wurden, so auch in den Versailler Verträgen nach dem Ersten Weltkrieg. Dabei handele es sich um ganz verschiedene Ebenen: Gefühle, Ideologie, Verwaltung und Kultur. Eine föderale Struktur könne nicht auf ein einziges politisches Wesenmerkmal gegründet werden wie gemeinsame Geschichte, Geographie, Sprache, Tradition oder Wirtschaft, sondern nur auf „Räume der Teilhabe des Bürgers am öffentlichen Leben, die durch Trauben von Gemeinden gebildet werden.

Quelle

Wolfgang Heuer: Föderationen – Hannah Arendts politische Grammatik des Gründens, Hannover 2016, S. 13, in: http://www.ha- bib.de/debatte/texte/He uer,Foederationen%202. Aufl.pdf zuletzt abgerufen am 09.11.2022.

Verweis auf Denis de Rougemont: „Rede auf dem Kongress der Union des Fédéralistes Européens“, in: Ecrits sur l’Europe, Bd. 1, Paris 1994, S. 35-38.

Denis de Rougemont: „Die Devise des Regionalismus: Keine Freiheit ohne Verantwortung!“, in: ebd., Bd. 2, S. 850.

Kommentar (Soiland/Elmer)
Hier bemängelt der Kommentator, dass die Autorin in ihrem Bezug auf De Rougement sich an Wolfgang Heuers Aufsatz anlehnt, von dem sie ein Zitat von De Rougement entnimmt. Ebenfalls ist aus dem Aufsatz von Heuer ein ganzer Satz entnommen. Heuer ist in der Bibliographie aufgeführt, wird hier aber nicht erwähnt. Diese Bemängelung ist korrekt.

Nr. 6

Seite
58 f

Text
Wie Agamben schreibt, bedeutet Bürgerkrieg immer eine Politisierung der Bürgerschaft. Genau das erleben wir. Eine nervöse Zivilgesellschaft rüstet gegen den Populismus auf. Selten wurde so viel diskutiert wie heute, die Bürger werden sich wieder bewusst, dass die Politik ihr persönliches Leben betrifft. Nichtteilnahme am Bürgerkrieg ist gleichbedeutend mit dem Ausschluss aus der polis. Der unpolitische Rückzug ins Private wird zumindest riskant, das Politische kann gefährlich werden.

Politische Einheit hindert die gegensätzlichen Gruppierungen daran, sich bis zur extremen Feindschaft zu dissoziieren. Als äußerster Punkt der Dissoziation ist der Bürgerkrieg etwa beim Staatsrechtler Carl Schmitt, der nicht von ungefähr ein Comeback erlebt, ein fester Bestandteil des politischen Systems. »Die Natur schafft keine Nationen«, hatte schon Spinoza erkannt. Die Schaffung eines politischen Körpers hängt darum nicht von einem Volk ab, sondern vom Willen zur Konstitution.

Darin liegt die Chance für eine politische Neubegründung eines Europas, in dem Souveränität und politische Entscheidungsgewalt nicht mehr bei den Nationalstaaten liegen. Im Leviathan beschreibt Hobbes den Prozess, in dem sich eine aufgelöste Menge vom König dissoziiert. Die aufgelöste Menge muss durch den Moment des Bürgerkrieges, durch die Uneinigkeit hindurch, sie kann nicht in den bestehenden politischen Körper zurück. Was verschwindet, ist das Volk. Wo sich momentan die »nationalen Völker« in Europa politisch teilen, werden die Bürger Europas zu einer ungeeinten Menge, die sich in einem neuen populus, einem neuen politischen Körper konstituieren muss. Die Auseinandersetzung über die neue Regierungsform ist der Moment der Stasis, des Bürgerkriegs. Das griechische Stasis bedeutet »Stauung« oder »Stockung«. Der Staat ist so lange noch nicht aufgelöst, wie der Bürgerkrieg andauert und der Kampf zwischen Menge und Souverän nicht entschieden ist. Genau da stehen wir heute in Europa, und wir sollten diesen Zustand nicht zu lange schwelen lassen.

Durch die Neukonstituierung wird die Menge wieder geeint. Im Klartext: Wir müssen uns von den Nationalstaaten verabschieden und einen europäischen Souverän als politischen Körper neu begründen. Das macht Angst und schafft Unruhe.

  • Auf der vorigen Seite wird auf Agamben verwiesen, aber dazwischen werden andere Autoren wie Schmitt angeführt und dann wird eine Passage von Agamben, ohne genannt zuwerden, wörtlich übernommen.

Text Quelle
Gedankengut:

Wörtlich:
»Wenn schließlich«, so schreibt er, »in einem auswärtigen oder inneren Krieg die Feinde einen endgültigen Sieg erringen, so da es, da die Streitkräfte des Gemeinwesens das Feld nicht länger behaupten, keinen weiteren Schutz für die Untertanen in ihrer Loyalität gibt, dann ist das Gemeinwesen aufgelöst, und jedermann hat das Recht, sich auf solche Weise zu schützen, wie sie ihm sein eigenes Ermessen nahelegt« (Hobbes I). Das heißt, dass der Staat so lange noch nicht aufgelöst ist, wie der Bürgerkrieg dauert und der Kampf zwischen der Menge und dem Souverän noch nicht entschieden ist.

Bürgerkrieg und Commonwealth, Behemoth und Leviathan bestehen nebeneinander fort, so wie die gelöste Menge und der Souverän. Erst wenn der innere Krieg mit einem Sieg der Menge endet, wird das Commonwealth wieder zum Naturzustand und die aufgelöste Menge zur ungeeinten Menge.

Das bedeutet, dass Bürgerkrieg, Common-wealth und Naturzustand nicht zusammenfallen, sondern durch komplizierte Beziehungen untereinander verbunden sind.

Quelle
Giorgio Agamben, Stasis. Der Bürgerkrieg als politisches Paradigma, 2016.

Gedankengut S. 56 ff S.68 wörtlich

Kommentar (Soiland/Elmer)
Bemängelt wird hier, dass ein Satz, der eine sinngemäße Wiedergabe eines Satzes aus Giogio Agambens Werk Stasis. Der Bürgerkrieg als politisches Paradigma ist, nicht als solcher gekennzeichnet ist, da dieser Titel nur im Absatz davor genannt wird. Das zentrale Wort des Titels Stasis erscheint aber kurz vor dem beanstandeten Satz nochmals. Die ganze Passage ist, anders, als der Kommentar es nahelegt, eine paraphrasierende Zusammenfassung des Gedankengangs von Agamben zur Frage, was ein Bürgerkrieg ist, und eine Übertragung dieses Gedankens auf die Situation in Europa. Dass diese Auslegung des Bürgerkrieges von Agamben stammt, wird am Anfang der beiden beanstandeten Absätze deutlich gemacht. Der Satz von Agamben wird zudem nicht wörtlich übernommen. Als Plagiat kann diese Passage nicht bezeichnet werden, da es sich um eine auf Europa übertragene Anwendung des Gedankengangs von Agamben handelt und der Urheber dieses Gedankengangs klar kenntlich gemacht wird.

Nr. 7

Seite
40

Text
Die Intellektuellen der Zeit, allen voran Stefan Zweig, betrachteten in den 1920er und 1930er Jahren die Kräfte der europäischen Geschichte als alternierenden Grundkonflikt: zum einen den Drang nach Abgrenzung und Abschottung, nach politischer Parzellierung und Verfeindung, der sich immer wieder in Kriegen entlud; zum andern die Entwicklung hin zum europäischen Geist, zur europäischen Einheits-und Verbrüderungsbewegung, die laut Zweig aus der 'ewigen Sehnsucht nach Einheit des Gefühls, Wollens, Denkens und Lebens' hervorgehe.

Text Quelle
Die Gegenwart, Zweigs Schreibsituation im Frühjahr 1932, bildet dabei den dramatischen Kulminationspunkt, von dem diese Rekonstruktion einer fragmentarischen Geschichte europäischer Einheit ausgeht. Die Gegenwart gilt ihm als Entscheidungsmoment zwischen zwei Grundtendenzen, die als alternierende Kräfte europäische Geschichte stets in Gang gehalten hätten: zum einen der Drang nach Abgrenzung, nach Abschottung einzelner Länder gegeneinander und damit - kontinental gesehen - nach geographischer wie politischer Parzellierung und Verfeindung, welche sich immer wieder in bilateralen oder multilateralen Kriegen entlud, oder - zum anderen - die Entwicklung hin zu größeren, Ländergrenzen wie Mentalitäts- und Sprachbarrieren überfliegenden Einheits- und Verbrüderungsbewegungen, die Zweig zufolge aus »jener ewigen Sehnsucht nach Einheit des Gefühls, Wollens, Denkens und Lebens' hervorgegangen seien.

Bendas Texte der Jahre 1927 und 1932 sind daher eindringliche und zweifellos höchst unzeitgemäß wirkende Warnungen vor den politischen, gesellschaftlichen und zivilisatorischen Folgen des Bedeutungsverlusts jenes humanistischen Wertekanons, der in Europa von der griechisch-römischen Antike über das christliche Mittelalter bis in die Aufklärungsepoche tradiert worden war. Seine Funktion hatte immer auch darin bestanden, ein Disziplinierungsinstrument darzustellen, um den Rückfall der zivilisierten Menschheit auf das Niveau von „Barbaren" (Schiller) abzuwenden, oder, wie Rüdiger Görner mit Verweis auf Peter Sloterdijk formuliert, um der „Entwilderung des Menschen“ zu dienen. Bendas Schriften sind Streitschriften gegen den Zeitgeist, weshalb er den Ruf eines Anti-Modernen und linken Reaktionärs unter den französischen Denkern hat. Über ihren jeweils konkreten thematischen Anlass hinaus - 1927 die Klage über das intellektuelle Versagen der deutschen und französischen Eliten angesichts des Nationalismus oder 1932 dann der Appell zur Umwertung aller Werte im Zeichen der Vernunft und im Interesse europäischer Versöhnung - sind beide Texte zugleich elegische, meist aber polemisch brillante, apodiktisch zuspitzen-de Klageschriften über den Geltungsverlust des Göttlichen als eines Absoluten und vom Materiellen essentiell Unterschiedenen in aufgeklärten Gesellschaften. Bendas ,Rede an die europäische Nation' ist im Grunde eine Abrechnung mit der säkularisierten Moderne, wie sie sich insbesondere im 19. Jahrhundert herausgebildet hat. Materialisierung, Fortschrittsdenken und ein prinzipielles Streben nach immer weiterer Ausdehnung und Dominanz des Individuums über seine Mit- und Umwelt gelten ihm als Elemente einer Lebenshaltung, die er mit Platon im Begriff der „pléonexie fasst und als Manifestationen der vernunftabgewandten, irrationalen Seite des Menschenbetrachtet.

Quelle
Antje Büssgen, Umwege zu einem geeinten Europa. Zum Verhältnis von Kultur und Politik bei Friedrich Schiller, Stefan Zweig, Julien Benda, 2017, S. 103

-> in Bezug auf Stefan Zweig, Der europäische Gedanke in seiner historischen Entwicklung, S. 189

Büssgen, S. 118, in Bezug aufJulien Benda, discours à la nationn europènne

Kommentar (Soiland/Elmer)
Hier fehlt eine formulierte Beanstandung. Der Kommentator scheint nahelegen zu wollen, dass sich die Autorin in ihrem Rekurs auf Stefan Zweig nicht auf das Original von Stefan Zweig, sondern auf das Buch von Antje Büssgen beziehe resp. dieses plagiiere. Beide Bücher sind in der Literaturliste aufgeführt. Als Plagiate werden hier einzelne Begriffe und einzelne Wortfolgen markiert. Da die Autorin Zweig explizit nennt und als Plagiate nur einzelne Begriffe und einzelne Wortfolgen genannt werden, ist nicht einzusehen, warum diese nicht ebenso gut aus dem Original Zweigs stammen sollen. Da diese Form der Kritik im ganzen Kommentar öfters erscheint, muss hier nochmals deutlich festgehalten werden: Es ist kein Plagiat, wenn man zu einem Phänomen neben der Originalquelle (hier Zweig) noch Sekundärliteratur (hier Büssgen) beizieht. Das ist Usus im wissenschaftlichen Arbeiten. Zudem ist es nicht sinnvoll einzelne Worte als Plagiate zu markieren, da diese tatsächlich in unterschiedlichen Quellen vorkommen können.
Der zweite Teil der Beanstandung bleibt offen, da die entsprechende Textstelle von Guérots Buch fehlt. Hier ist offenbar ein Fehler unterlaufen. Vielleicht schien es dem Kommentator doch zu weit hergeholt, da er lediglich zwei Teilsätze rot markiert, mit denen er zu suggerieren scheint, dass eine Passage unter dem Titel Europäischer Vormärz, S. 61, in welchem die Autorin Julian Bendas Discours à la Nation Européenne von 1932 referiert, aus der Quelle Büssgen stammt.
Auch hier lässt der Kommentar in dieser Unvollständigkeit eine mangelnde Sorgfalt erkennen.


Rheinische
Friedrich-Wilhelms-
Universität Bonn

Ständige Untersuchungskommission
zur Aufklärung wissenschaftlichen Fehlverhaltens

Bonn, den 01.12.2022

Frau Prof. Dr. Ulrike Guérot

Untersuchungsverfahren wegen des dringenden Verdachts wissenschaftlichen Fehlverhaltens

Sehr geehrte Frau Prof. Dr. Ulrike Guérot,

auf Antrag der Ombudsperson Prof. Dr. Klaus F. Gärditz hat die Untersuchungskommission für wissenschaftliches Fehlverhalten ein Untersuchungsverfahren eingeleitet.

Ihnen wird vorgeworfen, in Ihrer Schrift „Wer schweigt, stimmt zu“ (4. Aufl. 2022) an den aus der nachfolgenden Übersicht ersichtlichen Stellen (wörtliche Übernahmen rot unterlegt) vorsätzlich plagiiert und damit die allgemein anerkannten Grundsätze guter wissenschaftlicher Praxis verletzt und unter Verstoß gegen § 4 Abs. 4 S. 1 u. 2 Hochschulgesetz NRW ein wissenschaftliches Fehlverhalten im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 u. S. 2 Nr. 2 lit. a) der Ordnung zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn vom 12. Februar 2021 (Amt. Bek. 51 [2021] Nr. 13, 19. Februar 2021) begangen zu haben.